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Das Mädchen aus dem Meer: Roman

Das Mädchen aus dem Meer: Roman

Titel: Das Mädchen aus dem Meer: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rebecca Hohlbein
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Winzige Schweißperlen übersäten seine dunkle Haut wie Morgentau, doch ihr hübsches Glitzern konnte von dem scharfen Geruch, den sie absonderten, nicht ablenken.
    Chita vergeudete keine Kraft darauf, Froh auf die Pritsche zu heben, sondern breitete stattdessen eines der größeren Felle neben ihm aus, rollte seinen ausgedörrten Leib darauf und deckte ihn sorgfältig zu, ehe sie kurzerhand den Saum ihres Kleides abriss, zusammenknüllte und in den Wasserkrug tauchte. Vorsichtig schob sie eine Hand hinter seinen Kopf, um ihn anzuheben und seine aufgeplatzten wulstigen Lippen mit Wasser zu benetzen. Auch darauf reagierte Froh nicht, doch Chita gab nicht auf. Ihr Freund durfte nicht sterben – sie hatte ihm so viel zu verdanken, und doch hatte sie in den vergangenen Tagen so wenig über ihn nachgedacht.
    Sie bettete seinen Kopf vorsichtig wieder auf den Boden, hämmerte eine kurze Weile um Hilfe schreiend mit den Fäusten gegen die Tür, begriff, dass niemand reagieren würde, weil jeder ihre Rufe für einen Trick halten musste, um aus der Kajüte gelassen zu werden und zu Barrum zurückzueilen, und registrierte aus den Augenwinkeln, wie der nackte Stotterer von der Pritsche auf Frohs Brust hüpfte und zornig auf sein Gesicht einhackte. Wütend packte sie das Tier und schleuderte es gegen eine Wand, sodass es endlich verstummte und sich leicht angeschlagen, vor allem aber erschrocken in eine Ecke des Raumes trollte. Dann ließ sie sich wieder neben Froh auf den Boden sinken und fuhr damit fort, seine Lippen mit Wasser zu benetzen.
    »Es tut mir leid, Froh«, flüsterte sie, aber das Dröhnen der Maschinen und das immer lauter werdende Tosen des Windes übertönten ihre Worte. »Ich hätte besser auf dich aufpassen müssen. Und ich hätte mich gerade nicht so aufdringlich verhalten dürfen. Es war nur … Es ist … Ich weiß nicht, was hier vor sich geht. Ich weiß nicht, wo wir sind und wohin wir fahren. Ich weiß nicht einmal, wohin wir noch fahren können , denn ich glaube, ich habe doch nicht gelogen, als ich sagte, dass die Welle meine Welt zerstört hat. Ich habe mich nicht getraut, Barrum danach zu fragen, weil … weil die Antwort mir Angst macht. Weil du recht hattest, als du von einem Kokon aus Worten gesprochen hast. Ich habe sofort verstanden, was du damit gemeint hast. Ich habe mich nur dumm gestellt, weil ich es nicht hören wollte. Kannst du das begeifen, Froh? Weißt du, was ich meine?«
    Sie wusste, dass er ihre Worte nicht verstand. Er war ohne Bewusstsein, sie sprach in ihrer eigenen Sprache und der Lärm tat ein Übriges. Aber vielleicht, dachte sie, vernahm er ja wenigstens ihre Stimme – wenigstens dumpf und in Bruchstücken. Er sollte hören, dass er nicht allein war, er sollte fühlen, dass sie sich um ihn sorgte, er sollte spüren, dass er überleben und zurückkommen musste. Dass er gebraucht wurde.
    Ihre Tränen tropften auf seinen breiten Nasenrücken und rannen an den Nasenflügeln hinab. »Ich brauche dich, Froh«, sagte sie, während sie seine Lippen erneut mit Wasser benetzte. »Ohne dich bin ich allein. Ich glaube, es ist wirklich niemand mehr da …«

34
    W eißt du, als wir Montania erreichten, dachte ich, dass ich einsamer nicht mehr werden könnte. Aber da täuschte ich mich, denn immerhin war Cocha noch bei mir. Mein kleiner, gestreifter Beutelwolf, der mit in den Wochen zuvor immer wieder Trost und Wärme gespendet hatte, der wie ein Baby für mich gewesen war, hatte sich in Fischfutter verwandelt, und mit den Paradieslosen hatte ich irgendwann im Dämmerzustand vorläufig abgeschlossen. Tatsache war, dass Kratt, Mikkoka und Anna, deren Leiche ebenfalls irgendwo im Ozean trieb, mich auf hinterfotzigste Art benutzt hatten. Ich war auf sie hereingefallen, weil sie im Vorfeld genau so viel zugegeben hatten, wie ich gerade noch irgendwie aushalten konnte. Eine gemeine, aber effektive Strategie. Ich hätte mir nicht vorstellen können, dass ihre Pläne noch hinterlistiger waren, als sie in den Stunden vor unserer Ankunft in Norgal vermeintlich offen gestanden hatten. Im Gegenteil: Insgeheim hatte mir die Dreistigkeit, mit der Kratt mir vor den Latz geknallt hatte, dass er mich für seine Zwecke zu benutzen gedachte, sogar ein wenig imponiert. Aber ich hatte mich täuschen lassen. Ich war dumm und naiv gewesen. Und ich war nach wie vor davon überzeugt, dass Anna mich im Zweifelsfall sehr wohl getötet hätte.
    Und was Tronto, die Zwillinge und Golondrin anbelangte: Ich kannte sie

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