Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Mädchen aus dem Meer: Roman

Das Mädchen aus dem Meer: Roman

Titel: Das Mädchen aus dem Meer: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rebecca Hohlbein
Vom Netzwerk:
kaum, aber ich wollte sie nach den Erfahrungen, die ich mit dem Rest der Truppe gesammelt hatte, auch gar nicht mehr besser kennenlernen. Und Cocha …
    Na ja. Ihm musste ich ja verzeihen. Meine Liebe war bedingungslos, sie erlaubte es mir überhaupt nicht, mich länger als ein paar Stunden ernsthaft über ihn zu ärgern. Ich würde ihm alles vergeben, verstehst du? Immer noch.
    Falls du mich hören kannst, fragst du dich vielleicht, warum ich dir das alles erzähle, weshalb ich immer noch weiterrede. Und du denkst wieder an den Kokon; an eine Höhle aus Silben, in der ich mich vor der Gegenwart verstecke. Und damit hast du recht. Aber es ist nicht alles, weißt du? Allein dadurch, dass du mir die ganze Zeit zugehört hast, hast du mir so sehr geholfen, dass ich nicht weiß, wie ich dir je dafür danken soll. Denn darüber zu reden, bedeutet für mich nicht zuletzt auch, alles, was passiert ist, in eine Reihenfolge zu bringen und das Geschehene zu begreifen. Schritt für Schritt.
    Bei unserer Ankunft in Montania glaubte ich immerhin vorübergehend, ganz genau zu wissen, was ich wollte: Ich wollte zurück nach Hohenheim. Zu meinen Eltern und zu meinem Bruder, denn wenngleich mein Vater im Laufe seines Lebens eine Menge Fehler gemacht hatte – auf politischer Ebene ebenso wie auf privater –, und obwohl ich auch auf Hohenheim niemals wirklich frei gewesen war und ebenfalls immerzu damit rechnen musste, hintergangen und belogen zu werden, konnte ich mir zumindest sicher sein, dass mir zu Hause wenigstens niemand aus böser Absicht wehtun würde. Geschweige denn das Risiko eingehen, dass irgendeine Irre mir den Schädel mit einem Kugelpuffer öffnete!
    Außerdem sehnte ich mich nach einem warmen, weichen Bett, nach Mahlzeiten, die nicht nur den Magen provozierten, sondern tatsächlich sättigten, nach beheizten Wänden und nach Sauberkeit, denn ich hungerte noch immer, fror erbärmlich und stank wie ein toter Otter im Schweinestall. Mein Haar hatte seit Wochen keinen Kamm mehr gesehen und war so verfilzt, dass ich befürchtete, mir bald eine Glatze scheren zu müssen, und nicht nur auf meinem Kopf, sondern auch in meinen Kleidern tummelten sich so viele Parasiten und Insekten, dass ich befürchtete, sie würden bald einfach ohne mich weiterlaufen.
    Bis ich dazu kam, mich aufzuwärmen, vernünftig zu waschen und auch etwas halbwegs Anständiges zu essen, sollte aber noch ein weiterer halber Tag vergehen.
    Und der hatte es in sich.
    Als das Mana uns angegriffen hatte, waren wir nicht mehr weit von der Küste Montanias entfernt gewesen. Eines der wenigen Handelsmanis der benachbarten Halbinsel – ein Schiff Montanias also – war auf das kurze, aber heftige Gefecht aufmerksam geworden und hatte sich unserem Mani nach der Explosion zögerlich genähert. Zögerlich darum, weil es sich ja um ein Kriegsmani aus Lijm handelte. Erst als unser Schiff Stunden später so stark in Schräglage geraten war, dass es binnen kürzester Zeit sinken würde und entsprechend kampfunfähig war, wagte man es, gänzlich zu uns aufzuschließen, und die Händler aus Montania machten zwar keinen Hehl aus dem Misstrauen und der Abneigung, die sie uns gegenüber empfanden, verluden uns aber auf ihr Schiff und plünderten das unsere, ehe sie am nächsten Hafen anlegten, uns in ein Beiboot verfrachteten und beim nächsten Kriegerhaus ablieferten.
    Das Gebäude war nicht mit den Kriegerhäusern zu vergleichen, die ich kannte. Es war ein Pfahlbau, der so wackelig und morsch schien, dass ich darauf vorbereitet war, gleich mit nackten Primitiven konfrontiert zu werden, die sich an Lianen auf den Steg hinabschwangen. Doch letztlich waren es doch vier richtige Krieger, die sich bemerkenswert elegant an einer Stange zu uns hinabgleiten ließen. Die Händler erstatteten kurz Bericht, ohne das Beiboot zu verlassen, und ich fühlte mich wie eine unbestellte Warenlieferung, während ich auf dem wurmstichigen Steg, den der festgetrampelte Schnee in eine gefährliche Rutschbahn verwandelt hatte, frierend, erschöpft und irritiert von dem Anblick, der sich mir bot, von einem Fuß auf den anderen trat.
    Der Anleger war kaum vier Schritte breit, zog sich dafür aber gut und gern hundert Meter an einem Strand entlang, der diese Bezeichnung eigentlich nicht verdiente. Vielmehr ging das Meer hier in einen schier endlosen Sumpf über – oder der Sumpf in das Meer, wie du willst. Ein paar weitere Stege ersetzten die Straßen zwischen den acht oder neun Pfahlbauten, von

Weitere Kostenlose Bücher