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Das Mädchen aus dem Meer: Roman

Das Mädchen aus dem Meer: Roman

Titel: Das Mädchen aus dem Meer: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rebecca Hohlbein
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sie immer aufrecht und ganz und gar unkäuflich ist.
    Auf jeden Fall war sie anfangs so wütend auf ihren Bruder, dass sie ihn noch in dem Zimmer, das Markannesch den beiden zuwies, verprügelte. Gesehen habe ich es nicht, aber Cocha und ich konnten es im Nebenraum deutlich hören, obwohl die Burg nicht eben hellhörig war.
    Und zudem praktisch unsichtbar.
    Tatsächlich hatte ich sie nicht einmal gesehen, als die Triumphstelzen uns auf der Lichtung an ihrem westlichen Fuß abgeworfen hatten. Erst als Markannesch uns auf einen Eingang zudirigiert hatte, der so schmal und von Ranken umwuchert war, dass ich ihn wohl besser einen Schlupf nennen sollte, hatte ich den Kopf in den Nacken gelegt und erkannt, dass die steile Erhöhung hinter dem kleinen, lichten Fleck keineswegs natürlichen Ursprungs war. Was mir auf den ersten Blick als dicht bewachsener Hügel erschienen war, war in Wirklichkeit eine Pyramide mit einer Grundfläche, auf der sich Hohenheim samt Hof und vielleicht sogar Hafen hätte verstecken können. Die meisten ihrer Stufen waren kaum höher als eine gewöhnliche Treppenstufe und von ähnlicher Tiefe – sie zu besteigen, war aber trotzdem fast unmöglich, wenn man nicht über das Geschick der Lemurenkrieger oder der Primitiven aus dem Sumpf verfügte. Moose, Farne, Sträucher und Wurzeln bedeckten die Felsstufen fast lückenlos, und dort, wo sie es nicht taten, war der Stein glitschig und grün. Jede siebte Stufe war außerdem so tief, dass sich flach wurzelnde Bäume – Kiefern, Buchen und Weiden mit seltsamen, nachtschwarzen Kätzchen – darauf angesiedelt hatten. Es gab eine Menge winziger, quadratischer Fenster; in jedem Raum mindestens drei. Aber die waren von außen kaum zu finden, denn sie bestanden aus entspiegeltem, grün gefärbtem Glas, sodass das Innere der Burgpyramide tagsüber stets von einem unheimlichen, blassgrünen Licht erfüllt wurde. Und Eingänge gab es lediglich zwei: den wenig einladenden Schlupf, durch den wir das Gewirr aus gut bewachten Korridoren im unteren Bereich des riesigen Bauwerks betreten hatten, und einen großen, mit mehreren Fallgittern gesicherten Hauptzugang, den wir passiert hätten, wenn wir die Straßen benutzt hätten, wie zivilisierte Menschen.
    Aus der Luft jedenfalls war Gormos Motte ganz sicher kaum bis gar nicht zu erkennen. Man konnte in nur zwanzig Schritt Höhe in einem Mana darüber hinwegschweben, ohne zu erahnen, dass man gerade Gormos Machtzentrum passierte – zumal es noch eine Menge anderer, teils natürlicher, teils künstlicher Erhöhungen in den Sümpfen Montanias gab. Aber ich war natürlich trotzdem weit davon entfernt, mich sicher zu fühlen, denn ich war Gormos Gefangene, und alles um mich herum – die stinkenden Sümpfe mit ihren Baumhäusern, die fremdartigen Kreaturen und Primitiven, die sich im Dickicht tummelten, die halbnackten Krieger mit ihren Schrumpfköp fen und natürlich die wuchtige Pyramide mit ihrem labyrinthähnlichem Innenleben – machte mir große Angst.
    Kaum, dass die Tür der Kammer im obersten Bereich der Anlage, in den man uns geführt hatte, hinter Cocha und mir geschlossen war, machte ich dieser Angst in einem Schwall aus Fragen, Feststellungen, Vorhaltungen, Unterstellungen und vö llig zusammenhanglosem Gerede Luft, für das ich mich noch heute schäme. Als ich Cocha fragte, wie er so dumm hatte sein können, Kratt derart blind zu vertrauen, maß er mich völlig ausdruckslos. Ebenso, als ich ihm im nächsten Nebensatz vorhielt, dass er mit unberechenbaren Primitiven sympathisierte, und als ich über den Eimer kalten Wassers schimpfte, den man für uns bereitgestellt hatte, damit wir uns danach in kratzende, beigefarbene Kattunfetzen hüllten, die auf dem einzigen Schemel in der winzigen Kammer ihres Gebrauchs harrten. Es war genau dieses Kleid hier, das ich noch immer trage, und verglichen mit den hellblauen Gewändern, die mich auf den ersten Blick als Mitglied der Faronenfamilie ausweisen, ist es ja auch wirklich eine Zumutung. Nur dass von dem Kleid, mit dem ich in Silberfels aufgebrochen war, natürlich längst nicht mehr viel übrig war, sodass ich letzten Endes keine andere Wahl hatte, als es gegen dieses hässliche und unbequeme, aber praktische und stabile Ding hier auszutauschen …
    Wie auch immer: Cocha betrachtete mich die ganze Zeit über mit völlig regloser Miene. Insgeheim hatte ich darauf spekuliert, dass er versuchen würde, mich zu beruhigen, und dass er mir, während er mich im Arm hielt,

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