Das Mädchen aus dem Meer: Roman
Markannesch?«, erkundigte ich mich mit plötzlich trockenem Mund.
Ihre Mütter und Schwestern und Töchter … Ich war wochenlang mit einem Barbaren unterwegs gewesen, ohne es zu merken. Ich hatte ihn respektiert und bewundert, und er hatte nicht nur mich, sondern uns alle belogen und sogar seine wahre Identität vor uns geheim gehalten!
Ehrbar und edel! Pah! Kratt hatte sich dafür bezahlen lassen, dass er mich nach Montania brachte. Er hatte seine eigene Schwester hintergangen, die übrigens in diesen Minuten noch immer im Nebenraum tobte und fluchte. Wenn Markannesch nun bestätigte, dass Kratt ein Wilder aus den Wäldern war, dann wollte ich von Ehre und Edelmut in diesem Zusammenhang nie wieder etwas hören!
»Nanba«, antwortete Markannesch und bestätigte damit nicht nur den unglaublichen Verdacht, der mir schon vorhin auf der Lichtung gekommen war, sondern verriet mir auch, dass Kratt und er sich viel näher standen, als ich für möglich gehalten hatte. »Sie ist seine Mutter. Seine, nicht Mikkokas. Der kleine Wirbelwind ist nur seine Halbschwester«, betonte der Alte. »Und wo wir uns gerade über Namen unterhalten: Du kannst mich gern Gormo nennen.«
Ich starrte ihn an.
Markannesch lächelte. »Das ist der Name, den meine Eltern vor ziemlich langer Zeit für mich ausgesucht haben, und er gefällt mir nach wie vor sehr gut«, setzte der Greis hinzu, während ich ungläubig den Kopf schüttelte. »Markannesch ist überhaupt kein Name. Es ist eine Fantasiekonstruktion aus dem altakkabäischen Markan , was Schatten bedeutet, und dem kapparämischen Wort Nesch , das so viel wie Spiel heißt. Als Sprachkundige wäre es dir sicher irgendwann aufgefallen. Markannesch, Schattenspiel … Ein bisschen Spaß muss sein.«
Er lachte, stand auf und drückte mich auf die Matratze herab. Ich ließ es widerstandslos geschehen. Ich würde gern behaupten, dass mir auf einmal alles wie Schuppen von den Augen fiel, doch so war es nicht. Ich war völlig durcheinander und fernab davon zu begreifen, was der Alte mir da gerade erklärt hatte. Markannesch war Gormo. Gormo war Markannesch … Aber das war vollkommen unmöglich! Er hatte jahrelang an unserem Hof gelebt und gedient!
»Schwachsinn«, fasste ich meine Gedanken im Flüsterton zusammen.
»Könnte man fast meinen«, bestätigte der Alte vergnügt. »Wer setzt schon alles daran, so viele Jahre unerkannt im Zentrum des feindlichen Lagers zu schnüffeln, um sich dann durch einen albernen Namen selbst zu verraten? Aber jeder, dem es aufgefallen wäre, hätte sich selbst einen ausgewachsenen Verfolgungswahn diagnostiziert. Gormo von Montania als sein eigener Spion in Hohenheim? Ein Faro, der um der Tarnung willen aus seinem eigenen Nachttopf isst? Undenkbar!«
»Du … hast es also wirklich getan«, war beschämenderweise das Geistreichste, was mir dazu einfiel. Und vor allem das einzige.
»Natürlich nicht«, verneinte Gormo alias Markannesch und ließ sich neben mir nieder.
Ich rutschte intuitiv so weit von ihm weg, dass ich mit einer Pobacke neben dem Bett saß.
»Aber Viele haben es geglaubt. Und nicht Wenige haben weitere erheiternde Anekdoten im Zusammenhang mit meiner vermeintlichen Senilität erfunden, was mir natürlich sehr zugespielt hat. Wenn du den Menschen das Gefühl vermittelst, nicht Herr deiner Sinne, aber harmlos zu sein, mutierst du in ihrer Wahrnehmung recht schnell zu einer Randfigur, zu einem Schatten eben. Viele blenden dich sogar ganz aus. Eure Mägde und Knechte haben mich mehr als einmal versehentlich im Vorratslager oder in der Küche eingesperrt, weil sie schlicht vergessen hatten, dass ich den ganzen Tag über unter einem Tisch gekauert und Wollmäuse dressiert hatte. Schon ein paar Monate, nachdem dein Vater mich in seinen Dienst genommen hatte, konnte ich mich sogar im Kriegerhaus und in der Buchkammer frei bewegen und in aller Ruhe die Aufzeichnungen des Schriftführers studieren. Obwohl ich ihm eine Seite daraus sogar vorgesungen haben. Rückwärts.«
Ich schüttelte den Kopf. »Du redest Unsinn!«, entschied ich. »Mein Vater kennt Gormos Gesicht! Wenn du Gormo von Montania wärst, hätte er dich höchstens nach Hohenheim geholt, um dich eigenhändig zu steinigen!«
»Wirklich?«, spöttelte Gormo. »Dein Vater kennt Gormos Gesicht? Woher? War der Faro von Montania jemals zugegen, wenn der große Rah Loro und seine verkommenen Freunde über weitere Möglichkeiten verhandelt haben, ihn und sein verarmtes, schuldloses Volk auf
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