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Das Mädchen aus dem Meer: Roman

Das Mädchen aus dem Meer: Roman

Titel: Das Mädchen aus dem Meer: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rebecca Hohlbein
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möglichst entwürdigende Weise auszubeuten?«
    »Er hat sich immerzu vertreten lassen«, gestand ich, aber die Worte fanden nur mühsam den Weg über meine Lippen. Ein unangenehmes Stechen, das sich nun in meinen Schläfen ausbreitete, machte es mir nicht eben leichter, dem Alten zu folgen, geschweige denn, ihn irgendwie einzuschätzen.
    »Eine alberne Marotte, nicht wahr?«, nickte der Greis, der meinen Bruder gelehrt hatte. »Aber mit so etwas kennst du dich ja aus. Dein Vater hat auch die eine oder andere. Doch um das herauszufinden, hätte ich mir nicht die Mühe gemacht, herumzuschnüffeln. Es ist ein offenes Geheimnis, dass Loro nicht vernünftig sprechen kann. Mit seiner Gaumenspalte hat das allerdings überhaupt nichts zu tun. Er war schlicht als Kind schon ein Starrkopf und weigert sich bis heute, sich einem speziell geschulten Sprachlehrer anzuvertrauen. Deine Mutter redet sich noch immer die Zunge fusselig deswegen, aber solange dein Vater auf einen Redner wie den guten alten Milo zurückgreifen kann, ist das wohl vergebene Liebesmüh. Zumal Loro nie gern vor fremden Menschen gesprochen hat. Seine mündliche Abschlussprüfung in Silberfels musste durch eine zusätzliche schriftliche Arbeit ersetzt werden. Dein Großvater wollte es so.«
    »Woher weißt du das alles?«, erkundigte ich mich mit offenem Misstrauen. Ich war noch nicht einmal bereit, ihm zu glauben, dass er selbst tatsächlich Gormo war, und nun überfiel er mich auch noch mit geheimen Familiengeschichten, die Jahrzehnte zurücklagen!
    Markannesch gab sich bescheiden. »Ich bewege mich unter dem Volk. Das ist der ganze Trick«, erklärte er. »So hat es schon mein Vater gehandhabt, und auch mein Großvater zog es vor, nach außen hin ein ganz normales Leben als einfacher Mann zu führen. Nur so, das hat schon er gewusst, kann man die Sorgen und Wünsche seiner Untergebenen wirklich nachvollziehen. Wie willst du die Welt verstehen, wenn du die meiste Zeit hinter meterdicken Mauern in Olivenölbädern plantschst? Und wie willst du ein Land regieren, dessen Bewohner dir völlig fremd sind?«
    Ich musste an die Abende und Nächte zurückdenken, die wir in den Langhäusern und Scheunen der einfachen Leute verbracht hatten, und begriff sehr gut, was Markannesch meinte. Aber das meiste von dem, was er sagte, verstand ich eben nach wie vor nicht.
    »Dass dein Vater mich zu Soras Lehrmeister ernannt hat, hatte übrigens mehr mit Glück als mit Geschick zu tun«, fuhr der Alte fort. »Sicher: Milo lebt nicht von ungefähr in Hohenheim. Er ist der Sohn meiner jüngsten Schwester, mein Neffe also, und obwohl sein Ehrgeiz zuweilen ungesunde Ausmaße annimmt, ist er mir von allen einer der liebsten. Es war sein Wunsch und sein Plan, irgendwann als persönlicher Redner deines Vaters zu fungieren. Weniger für mich, denn für Montania. Er ist patriotischer eingestellt als mancher Faro, darauf kannst du dich verlassen. Und was kaum jemand für möglich gehalten hatte, gelang ihm doch in erstaunlich kurzer Zeit: Er arbeitet seit nunmehr zwanzig Jahren für Rah Loro den Zwölften und versorgt uns von der ersten Stunde an mit allen Informationen, die für uns relevant sein könnten. Ein sehr guter Junge. Ich bin stolz auf meine Schwester. Aber die Sache hat einen Haken.«
    »Er könnte jederzeit auffliegen und geköpft werden?«, riet ich kraftlos.
    »Dieses Risiko nimmt er in Kauf«, winkte Markannesch ab. »Nein. Es ist nur so, dass Milo auch nur weiß, was er im Namen deines Vaters verliest. Und dein Vater lässt nur verlesen, was im Grunde ohnehin jeder wissen darf. Selbst wenn es sich um Besprechungen hinter den verschlossenen Türen des Thronsaals handelt, bei denen nur hochrangige Regierungsmitglieder oder -vertreter zugegen sind, hält er mit den wirklich wichtigen Dingen doch sehr hinterm Berg. Er sagt zum Beispiel: Es wäre Lijm und Jama ein Leichtes, Montanias Sternensilberminen an einem einzigen Tag einzunehmen. Doch er nennt keine Zahlen dazu. Niemand weiß, über welches Aufgebot an Kriegsmanas und -manis er wirklich verfügt, wie viele Männer seine Truppen umfassen, was genau in den Waffenlagern auf seinen Einsatz wartet – und wie viele seiner neuartigen, hochgelobten Kriegstechnologien tatsächlich funktionieren. Dazu gibt es nur Schätzungen, und die sind, wie ich inzwischen weiß, maßlos übertrieben. Dein Vater hat geschickt ein Bild einer schier unbesiegbaren, militärischen Großmacht gezeichnet, was zugegebenermaßen ein schlauer

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