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Das Mädchen aus dem Meer: Roman

Das Mädchen aus dem Meer: Roman

Titel: Das Mädchen aus dem Meer: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rebecca Hohlbein
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Wunden und den Umständen, auf denen sie beruhten, zu tun hatten. Aber ich wollte nicht vor den anderen Kindern und Moijo darüber sprechen.
    »Das weißt du nicht, du Dummchen? Heute ist doch das Handelsfest«, antwortete Sora fröhlich und deutete auf ein halbes Dutzend Leinenbeutel, das bereits auf dem Karren verstaut war. Sie waren fast bis zum Zerreißen gefüllt mit süßen Früchten, kleinen Spielzeugen und in Papier gewickelten, kleinen Gebäckstücken, die wir später auf den Prozessionszug schmeißen würden.
    »Oh«, machte ich verlegen und zuckte mit den Schultern, als sei es mir gleich, obwohl ein Ausflug zum Handelsfest natürlich noch viel besser war als bloßes Lernen im Freien. »Dann habe ich wohl mein Zeitgefühl in meinem Zimmer vergessen … Danke. Wer kommt alles mit?«, wollte ich wissen und beantwortete mir die Frage selbst, indem ich den Blick über den Hof schweifen ließ, auf dem sich neben uns beiden auch schon Keija, die kleine Tochter der Magd, Arghon, der dickliche Großneffe des Schriftführers, und Mo und Rajik, die Zwillinge meiner Tante, also unsere zweitjüngsten Basen, versammelt hatten.
    »Was sagst du ihnen, was mit dir passiert ist?«, fragte ich mit einem Nicken in Richtung unserer Cousinen.
    »Sie glauben, es war ein Reitunfall«, antwortete Sora. »Wie übrigens alle anderen auch.«
    »Und wo ist Carthun?«, wunderte ich mich über die Abwesenheit seines Lehrmeisters. Die Lehrmeister waren in aller Regel die Ersten am Treffpunkt, denn sie beaufsichtigten das Beladen des Karrens und das Satteln der Pferde am liebsten persönlich. Nicht, weil es ihre Pflicht war, sondern weil sie jeden Fehler, den ein Knecht oder ein anderer Bediensteter beging, zunächst einmal selbst ausbadeten. So ein vergessener Proviantbeutel konnte einem den Tag ganz schön vermiesen, wenn man ein Ausflugsziel fernab der nächsten Ortschaft gewählt hatte, was nicht selten vorkam.
    Das Lächeln verschwand kurz aus Soras Gesicht. »Er kommt nicht mehr«, antwortete er.
    »Oh. Ist er krank?«, hakte ich nach.
    Sora verneinte. »Er kommt überhaupt nicht mehr«, verbesserte er mich, was mich überraschte und bestürzte, denn ich mochte Carthun viel mehr als Moijo. Er war viel jünger, immer gut gelaunt und eher unkonventionell in seinen Lehrmethoden. Statt viel zu reden, ließ er uns die Dinge selbst ausprobieren, was nicht nur spannender war, als einen Katalog von Warnhinweisen und Richtlinien vorgeleiert zu bekommen, sondern auch viel wirkungsvoller. Wer sich im praktischen Unterricht einmal die Füße verbrannt hat, weil er ein Stück ungemahlenes Sprudelpulver in eine Pfütze geworfen hat, wird sein Leben lang Vorsicht im Umgang mit solchen Dingen walten lassen – auch wenn er Regel Nummer drei c, Absatz elf aus dem Sicherheitskatalog längst vergessen hat …
    Sprudelpulver?
    Vergiss es … Halte nur fest, dass Carthun ein guter Lehrmeister war. Der beste, denn ich je kennengelernt habe. Dementsprechend konnte ich kaum glauben, was mein Bruder da gerade gesagt hatte, und wollte es vor allem nicht wahrhaben.
    »Aber warum denn nicht?«, platzte es aus mir heraus.
    Weil ich so laut sprach, rückten unsere Basen verhalten ein Stück näher heran, um die Ohren zu spitzen und unserem Gespräch zu lauschen. Sora kommentierte das mit einem stummen Augenrollen, ergriff meine Hand und zog mich von den anderen weg in den Schatten der Küche, die etwas abseits in einem Flachbau untergebracht war.
    »Vater sagt, Carthun sei nicht mehr bereit, einen Taugenichts wie mich zu unterrichten«, flüsterte mein Bruder, kaum dass wir außer Hörweite waren. Er lächelte noch immer, aber er beherrschte viele Arten des Lächelns, die nur wenige, ihm eng vertraute Menschen voneinander unterscheiden konnten. Dieses war jenem ähnlich, das seine Lippen zuletzt am Strand umspielt hatte. Es verzichtete darauf, auch den Rest seiner Mimik zu beanspruchen.
    »Das kann ich nicht …«, begann ich, aber Sora hielt mir den Mund zu, denn ich sprach schon wieder viel zu laut.
    »Es stimmt ja auch nicht«, beschwichtigte er mich. »Carthun hat es mir selbst gesagt. Und zwar schon am Morgen, bevor wir durch das Loch im Riff getaucht sind. Er ist ihm bloß zu teuer geworden. Vater hat ihm eine Abfindung gezahlt, mit der er ein paar Jahre auskommt, in denen er sich einen neuen Posten suchen kann. Er hat ihn durch eine kostengünstigere Kraft ersetzen lassen. Um nicht zu sagen: Durch einen Trottel, der überhaupt keinen Lohn verlangt.«
    Ich

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