Das Mädchen aus Mantua
sie mit einem bekümmerten Blick auf die Patientin zurück. »Ich konnte nichts tun.«
»Beten könnt Ihr immer«, sagte die Nonne gelassen. »So wie die Kranken es selbst auch tun. Und manchmal hilft es sogar.«
Celestina blieb nichts übrig, als diese Bemerkung zu schlucken. Sie schaute zu, wie Frater Silvano und Schwester Deodata gemeinsam den Krankensaal verließen.
Dann wandte sie sich wieder der fiebernden Frau zu. Bedrückt hörte sie dem scheinbar zusammenhanglosen Gemurmel zu. Erst nach einer Weile erkannte sie, dass es sich um Gebete handelte.
Am Nachmittag desselben Tages
»Wirklich, ich frage mich, warum du dir das immer wieder antust«, sagte Arcangela. »Statt deine besten Jahre in stinkenden Spitälern und stinkenden Anatomiesälen zu vergeuden und deine Gesundheit bei der Behandlung von Aussätzigen zu gefährden, solltest du besser einen vernünftigen Plan schmieden.« Sie hatte sich das Haar gebürstet, bis es glänzte, und sich das neue Seidentuch schwungvoll über die Schultern gelegt.
»Die Frau hatte keinen Aussatz, sondern Fieber.«
»Du hast selbst gesagt, dass man nicht weiß, woher es kommt. Es könnte also auch Aussatz sein.«
»Aussatz macht sich anders bemerkbar.«
»Und wie?«
»An der Haut«, sagte Celestina. »In Form von Flecken, Knoten und Geschwüren.«
»Bäh! Ich will nichts davon hören!«
»Du hast davon angefangen, nicht ich.«
»Weil ich sehe, wie es dir zusetzt! Ich leide mit dir! Deshalb geht das nicht so weiter, ein Plan muss her!«
»Und welcher sollte das deiner Meinung nach sein?«
»Es gibt auch andere Wege, um dem Arztberuf nahezukommen«, erklärte Arcangela. Sie griff noch einmal nach dem Kamm, um damit ein paar Locken auf ihrem Busen zu drapieren. »Du kannst es genauso machen wie schon einmal. Heirate einen Arzt und hilf ihm bei der Arbeit.« Sie kniff ein Auge zu. »Übrigens sollte man auch werdende Ärzte als Ehekandidaten in Betracht ziehen. Erst recht solche, mit denen du ohnehin schon die ganze Zeit der Fleischeslust frönst.«
Daran wollte Celestina im Augenblick lieber nicht denken. Sie lag rücklings ausgestreckt auf dem Bett, völlig apathisch nach den stundenlangen Hilfsdiensten. Das Spital hatte sie rasch wieder verlassen, dort gab es nichts für sie zu tun; Frater Silvano hatte sich entschuldigen lassen, er habe noch wichtige Verwaltungsaufgaben zu erledigen. Doch kaum war sie nach Hause zurückgekehrt, hatte Immaculata sie zu Marta gerufen. Es folgten umfangreiche Bemühungen um die stockende Verdauung mittels mehrerer Klistiere.
Besonders nahe ging Celestina jedoch das Schicksal der Frau im Spital. Sie fühlte sich der Kranken auf eigenartige Weise verpflichtet. Fast kam es ihr vor, als hätte sie versagt, obwohl sie nach menschlichem Ermessen nichts falsch gemacht hatte.
Ob die Frau ihren Lebenswillen verloren hatte, weil ihr Kind gestorben war? Durch schweren Kummer konnte das Gleichgewicht der Säfte durcheinandergeraten, möglicherweise kam daher das Fieber.
Celestina erinnerte sich an die Zeit, als sie selbst am liebsten gestorben wäre, damals, nach ihrer schweren Entbindung. Sie hatte geglaubt, mit einem Kind wieder neuen Lebensmut schöpfen zu können und so über den Tod Jacopos hinwegzukommen, der nur acht Wochen zuvor gestorben war. Doch dann war ihr auch diese Hoffnung genommen worden. In jenem Moment war für sie klar gewesen, dass sie nicht mehr weiterleben konnte. Innerlich war sie zu kaltem Stein erstarrt, und hätte ihr Körper nicht für sie geatmet und ihr Herz für sie geschlagen, wäre sie für immer eingeschlafen.
Arcangela stand vor dem Spiegel und begutachtete summend ihr Erscheinungsbild.
»Ich gehe jetzt«, teilte sie Celestina mit.
»Du hast das falsche Parfüm aufgelegt. Heute ist Montag.«
»Oh, das hat schon seine Richtigkeit. Galeazzo hat keine Zeit, er unternimmt heute mit Timoteo und William einen Ausflug aufs Land. Ich treffe mich mit Vitale. Er will mir die neue Wohnung zeigen. Allerdings hat er noch keine Antwort auf die Frage, was dann aus seiner Mutter wird. Er lebt ja bei ihr. Oder sie bei ihm, je nach Betrachtungsweise. Das tat sie schon während seiner Ehe. Und davor auch. Sein ganzes Leben lang eigentlich. Die Frage ist also, ob er sie überhaupt loswird.«
»Aha«, murmelte Celestina.
»Warte, fast hätte ich es vergessen. Heute brachte der Bote einen Brief von Mutter. Er wird dir nicht gefallen.« Arcangela nestelte das Papier aus der Schatulle, in der sie ihr Schreibzeug
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