Das Mädchen aus Mantua
verwahrten.
»Auch das noch«, stöhnte Celestina. »Was schreibt sie denn?«
»Lies selbst, ich muss los. Vitale soll nicht warten.« Trällernd verließ Arcangela das Gemach.
Meine innigst geliebten Töchter! , las Celestina.
Hoffentlich hat der Euch übersandte Wechsel Euch erreicht, damit weiterhin für Euer Wohlergehen gesorgt ist, wenngleich ich davon ausgehe, dass meine schweinsgesichtige Schwägerin und deren scheinheiliger Gatte ihre familiäre Pflicht Euch gegenüber erfüllen und es Euch an nichts mangeln lassen, zumal ja Du, meine liebe Celestina, ihr einziges Patenkind bist, dem gegenüber sie sich bisher kaum auf eine Weise gezeigt haben, die man auch nur im Entferntesten als großzügig bezeichnen könnte.
Celestina schloss ermattet die Augen. Ihre Mutter schaffte es zuweilen, eine ganze Briefseite mit nur einem Satz zu füllen. Ihre Fähigkeit, endlos lange Schachtelsätze zu formulieren, wurde nur von ihrer Redseligkeit übertroffen. Wenn sie einen Raum betrat, wo sich Menschen unterhielten, kam mindestens eine Stunde lang keiner von ihnen mehr zu Wort.
Ihr lieben Mädchen, des Weiteren hege ich die inständige Hoffnung, dass Ihr Euch in Eurem Verhalten so weit mäßigt, dass niemand auf den Gedanken kommen kann, Ihr wäret nicht vollständig und bis in Euer tiefstes Inneres fromm und gottgefällig sowie vor allem ehrbar und sittenstreng, wobei gerade Letzteres mir und meinem guten Gatten über alle Maßen am Herzen liegt, nachdem uns in der Folge Eures Wegzugs aus Mantua gewisse Vorfälle zu Ohren kamen, welche, so jedenfalls der Inhalt unserer Gebete, in möglichst naher Zukunft der Vergessenheit anheimfallen sollten.
Ein einziger Satz, und er enthielt die Aussage: Benehmt euch ja anständig, wir wissen, was in Mantua geschah.
O Mutter, dachte Celestina betreten. Wenn du wüsstest, was inzwischen hier alles los war!
Dann las sie den Rest, der nicht gerade zur Stärkung ihres Seelenfriedens beitrug.
Ihr lieben Töchter , ging es weiter. In der letzten Zeit sehnt sich mein Herz danach, Euch wieder einmal in die Arme zu schließen, denn viel zu lange ist es her, dass ich Eures Anblicks teilhaftig werden durfte – wüsste ich es nicht besser, so würde ich gewiss meinen, es liege schon eine ganze Ewigkeit zurück, obwohl es doch erst im vorletzten Frühjahr war, nach der Beisetzung des guten Jacopo (Gott sei seiner Seele gnädig), woran sich ermessen lässt, wie sehr es mich in meiner Mutterliebe beeinträchtigt, so lange nicht das liebe Gesicht meiner Tochter gesehen zu haben (das meiner Stieftochter selbstverständlich nicht minder!), weshalb ich es nunmehr, unterstützt durch meinen werten Gatten, Arcangelas liebenden Vater, als mein zuvörderstes Anliegen erachte, diesem auf Dauer unerträglichen Zustand baldigst abzuhelfen, indem ich in möglichst naher Zukunft plane, einmal eine Reise nach Padua zu unternehmen, wenngleich mich die Aussicht, dann im Haus der schweinsgesichtigen Marta und ihres opportunistischen Gatten logieren zu müssen, in nicht gerade geringem Maße abschreckt.
Bitte nicht!, dachte Celestina erschüttert. Komm nicht! Überleg es dir noch einmal!
Doch wie sie ihre Mutter kannte, musste sie sich wohl auf deren Kommen einstellen – und auf allerlei Ungemach.
Am Nachmittag desselben Tages
»Guglielmo, hör mit dem Unsinn auf und komm hier rüber!«, rief Galeazzo, während er den Ball in die Luft warf. »Zu dritt macht es mehr Spaß!« Übermütig schrie er auf, als Timoteo ihm den Ball vor der Nase wegfing und ihn gegen die Scheunenwand schleuderte. Er traf zielsicher das Loch über dem Tor, das ein Blitzschlag vor Jahren dort hinterlassen hatte. Galeazzo pfiff anerkennend und rannte los, um den Ball aus der Scheune zu holen.
William sah zu, wie Galeazzo sein Glück versuchte. Der Ball flog in hohem Bogen auf die Scheune zu, prallte aber an der Bretterwand ab. Galeazzo fluchte enttäuscht, spurtete jedoch gleich darauf lachend los und holte sich den Ball erneut, um ihn dann Timoteo zuzuwerfen. Wie die Knaben überboten sie einander in ihrer Wurfkunst, sie alberten herum und prahlten und lachten, dass es eine Freude war, ihnen zuzusehen.
Mit einer gewissen Wehmut dachte William daran, dass er im kommenden Jahr nach der Promotion in die Heimat zurückkehren würde. Einerseits freute er sich sehr auf sein Zuhause, auf seine Eltern, die jüngeren Geschwister und die raue Küste von Folkstone, wo er seine Jugend verbracht hatte. Andererseits wusste er jetzt schon,
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