Das Mädchen aus Mantua
dass er seine Freunde vermissen würde, und bei dem Gedanken, dass er sie nach seiner Rückkehr vielleicht nie wiedersah, wurde ihm erst recht das Herz schwer.
Seufzend beugte er sich über das tote Huhn, das vor ihm auf einem Baumstumpf lag. Timoteo hatte es bei einem Bauern gekauft und ihm zum Experimentieren überlassen.
»Hier, du kannst ruhig daran herumschnippeln. Brodata will es morgen zum Mittagessen braten, es kann also nicht schaden, wenn es schon ausgenommen ist.«
Noch vor einer Stunde hatte das Federvieh wild gegackert und geflattert, bis zu dem Augenblick, in dem William ihm den Kopf abgeschlagen hatte. Das Geflatter war noch für ein paar Augenblicke weitergegangen, aber William hatte das Huhn eisern festgehalten. Über einer Schüssel hatte er es ausbluten lassen, die laufende Sanduhr neben sich, und gebannt zugesehen, wie das Blut aus dem Halsstumpf gepumpt wurde. Danach ging es ans Messen und Wiegen. Triumphierend hatte er anschließend seine Berechnungen ergänzt und die gewonnenen Werte sorgfältig niedergeschrieben. Anschließend verstaute er die durch Blutspritzer leicht mitgenommenen Schreibutensilien wieder, bevor er sich der weiteren Untersuchung des Huhns zuwandte. Er entfernte sorgfältig die Federn und schnitt dann den Brustkorb auf, um das Herz zu sezieren. Seine Ansicht, dass es sich bei diesem Organ um eine Pumpe handelte, hatte sich weiter verfestigt, es kam im Grunde gar nichts anderes infrage. Das würde auch die Klappen in den Venen erklären, die niemand anderer als Professor Fabrizio entdeckt hatte, jedoch ohne dass ihnen bisher eine zweifelsfreie Funktion hätte zugeordnet werden können.
In dem Huhn steckte ein Ei. William präparierte auch dieses heraus und untersuchte es, bevor er sich der Umgebung zuwandte, in der es sich befunden hatte. Der Fortpflanzung und Embryologie beim Huhn galt sein verstärktes Interesse, er hatte bereits entschieden, auch auf diesem Gebiet weiterzuforschen, so wie es sein Mentor und Lehrer tat, Girolamo Fabrizio, den er sehr verehrte. Auch ihn würde er in England schmerzlich vermissen.
»Oje«, sagte Timoteo, als er das zerfleischte Huhn sah. »Das eignet sich höchstens noch für Frikassee.«
Kurzerhand entschieden sie, das Huhn an Ort und Stelle zu verspeisen. Sie sammelten trockenes Holz, bauten sich eine Feuerstelle und entzündeten das Holz. Das Huhn zerteilten sie in mundgerechte Stücke, die sie auf Spieße steckten und über den Flammen brieten. Erhitzt und gut gelaunt verzehrten sie anschließend die ungeplante Mahlzeit. Anschließend streckten sie sich im Gras aus, um sich auszuruhen und aus dem mitgebrachten Weinschlauch zu trinken.
William schob sich einen Grashalm zwischen die Zähne und hörte den Freunden zu, die den ungewöhnlichen Einfall hatten, eine Hütte zu bauen. Das passende Gelände hatten sie schon dafür ausgemacht, gleich hier sollte sie stehen, auf Caliari-Land, und errichten wollte man sie aus Bruchsteinen des verfallenen Bauernhauses, das vor Jahren vom Blitz zerstört und zu mehr als zwei Dritteln verbrannt war. Die noch brauchbaren Bretter der Scheune würden gerade noch für ein ordentliches Dach reichen. Der alte Hof war abgelegen, hier draußen ließ sich selten jemand blicken. Zwar müsste zuerst die Erlaubnis von Timoteos Vater eingeholt werden, aber Timoteo meinte, er würde sich etwas ausdenken. Bis dahin könne es nicht schaden, den Bau bereits zu planen.
»Ein festes Dach muss sie haben«, sagte Galeazzo. »Nicht nur aus Brettern, sondern auch Schindeln. Es darf nicht hineinregnen. Und wir müssen sicherstellen, dass die Bretter nicht nach Stall stinken.«
»Wir könnten ein paar Oleanderbüsche drumherum pflanzen«, meinte Timoteo. »Die riechen sehr gut.«
»Hauptsache, nicht nach Schaf.«
»Ihr solltet einen Kamin einbauen«, sagte William.
»Wozu?«, wollte Galeazzo wissen.
»Nun, wenn ihr die Hütte auch im Winter nutzen wollt, müsst ihr heizen, es sei denn, ihr wollt euch den Hintern abfrieren.«
»Da ist was dran«, sagte Galeazzo. »Hast du schon einmal einen Kamin gebaut, Timoteo?«
»Nicht eigenhändig«, räumte dieser ein. »Aber ich habe mitgeholfen, als bei der Gerberwerkstatt einer eingebaut wurde.«
»Kamine bauen ist eine echte Kunst«, sagte William. »Das kann nicht jeder.« Er spuckte den durchgekauten Grashalm aus. »Wobei sich außerdem fragt, ob ihr die Hütte im Winter überhaupt noch braucht.«
»Warum sollten wir sie dann nicht mehr brauchen?«, fragte Timoteo
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