Das Mädchen aus Mantua
erschien, schickte sie ihn weg, obwohl sie wusste, dass es Vitale beunruhigen wurde. Er steckte dem Arzt regelmäßig Geld zu, damit dieser sich bei ihr blicken ließ.
Der Frater hingegen besaß die volle Hochachtung ihres Bettnachbarn.
»Der Mönch versteht sein Handwerk«, hatte er Arcangela nuschelnd erklärt. »Ihm könnt Ihr trauen.«
Das immerhin fand Arcangela beruhigend, denn bisher hatte sie durchaus ihre Vorbehalte gegen Frater Silvano gehegt. Ihr war nicht geheuer, dass er Celestinas Plan, an der Universität zu studieren, mit solchem Eifer unterstützte. In den vergangenen Tagen aber hatte sie in dem Mönch einen ernsthaften, ständig um das Wohl der Kranken ringenden Menschen kennengelernt, dem keine Mühe zu viel und kein Dienst zu anstrengend war. Dem amtlich bestellten Medicus war er in allen Belangen haushoch überlegen.
»Er wäre zweifellos der bessere Physikus geworden«, sagte ihr Bettnachbar. »Allein, er hat kein Studium absolviert, hat weder Examina noch Promotion vorzuweisen. Mehr als das untergeordnete Chirurgenhandwerk bleibt ihm nicht. Ein Glück für die Kranken hier, dass der Physikus nur selten erscheint. Den treibt es eher ins Wirtshaus als hierher.«
Ihr Bettnachbar hieß Filiberto und war, wie sie bald erfuhr, von Beruf Starstecher und Arzt, er führte sogar einen Doktortitel. Böse Zungen, so Filiberto, hätten behauptet, die Universität, an welcher er den Titel erworben habe, existiere in Wirklichkeit nicht. Man habe ihn außerdem bezichtigt, ein Scharlatan zu sein. Geistig minderbemitteltes Gelichter habe sich von diesen haltlosen Reden dazu hinreißen lassen, ihn zusammenzuschlagen.
»Und so liege ich hier nun und kann nicht mehr aufstehen«, nuschelte er.
Er hatte bei dem hinterhältigen Überfall nicht nur die Vorderzähne, sondern auch einen Hoden verloren, außerdem waren ihm drei Rippen und das Schienbein gebrochen, ein Ohr halb abgerissen, die Nase zerschmettert und eine erkleckliche Anzahl von Haarbüscheln ausgerissen worden. Sein Gesicht war immer noch grün und blau, und sein Brustkasten schmerzte heftig, dennoch hoffte er, bald das Spital wieder verlassen und weiterreisen zu können. Er trachtete dringend danach, seinen untreuen Gehilfen aufzuspüren. Der war, wie ihm zugetragen worden war, mitsamt dem Gespann und den Einnahmen der letzten vier Wochen auf Nimmerwiedersehen verschwunden.
Arcangela hoffte genau wie er, so bald wie möglich das Spital wieder verlassen zu können. Die Schmerzen waren schon schlimm genug, doch die Umgebung war kaum zu ertragen. Dutzende von Betten reihten sich dicht aneinander, es stank zum Gotterbarmen, weil viele der Kranken ihre Ausscheidungen nicht kontrollieren konnten.
Sie lechzte förmlich nach frischer Luft. Die Fenster blieben allerdings die meiste Zeit geschlossen, weil Zugluft schädlich für die Lungenkranken war. Letztere bereicherten den ohnehin beträchtlichen Geräuschpegel durch ihr Keuchen und ihren bellenden Husten, sowohl bei Tag als auch bei Nacht, sodass es gänzlich unmöglich war, mehrere Stunden ungestört durchzuschlafen.
Immerhin war die Bettstatt leidlich sauber; die Nonnen mühten sich redlich, jedem Kranken ein reines Lager zu bereiten. Sie kamen jedoch kaum nach mit dem Wechseln der Leinentücher.
Über das Essen konnte Arcangela nichts Schlechtes sagen, denn bisher war sie nicht in die Verlegenheit gekommen, es zu sich nehmen zu müssen. Messèr Filiberto hatte zwar behauptet, er habe schon übleren Fraß verdauen müssen, doch Arcangela wollte es auf keinen Vergleich ankommen lassen. Sie ließ sich von Celestina und Vitale beköstigen, beide brachten ihr regelmäßig etwas zu essen mit. Celestina hatte ihr zudem versprochen, alles dafür zu tun, dass sie am nächsten Tag nach Hause durfte. Der Arm tat zwar immer noch sehr weh, doch sie waren übereinstimmend der Meinung, dass sie diese Schmerzen in heimischer Umgebung besser ertragen könne. Wenigstens war sie den sperrigen halbierten Holzkasten mit den Zügen und Stellschrauben wieder los. Zwei Tage lang hatte der Kasten neben ihr im Bett gelegen und nicht nur den Arm arretiert und zugleich gestreckt, sondern sie auch selbst an nahezu jeder Bewegung gehindert. Sie hatte sich weder drehen noch aufsetzen, geschweige denn aufstehen können. Sich von den Nonnen unter der Bettdecke einen Topf unterhalten zu lassen, während ein paar Dutzend Menschen zusehen konnten, war eine der demütigendsten Erfahrungen ihres Lebens gewesen. So hinfällig die
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