Das Mädchen aus Mantua
sie dir kein Gift in die Sauce rührt!, dachte Arcangela. Aufgeregt verharrte sie, bis die beiden Schwestern sich entfernt hatten. Was hatte es mit dem Keller auf sich?
Am Abend wurde es ruhiger im Krankensaal. Die meisten Kerzen wurden gelöscht, die Zeitabstände, in denen die Nonnen und Mönche bei den Patienten nach dem Rechten sahen, wurden größer. Hier und da hörte man noch ein leises Jammern, auch hustete es mancherorts noch kräftig, doch im Großen und Ganzen war es ruhig.
Arcangela wartete, bis sie das Gebimmel des ersten Nachtläutens hörte, dann schlüpfte sie aus dem Bett. Sie schlich an der endlos scheinenden Reihe der Betten vorbei und ignorierte das Husten, Stöhnen und Schnarchen. Als eine der Nonnen auftauchte, um sich einer leise weinenden Frau zu widmen, wich Arcangela kurz hinter einen der Wandschirme zurück. Direkt neben dem stinkenden Nachtstuhl blieb sie stehen und wartete, bis die Nonne wieder gegangen war.
Arcangela nahm eine der Talgleuchten an sich und ging zu der Tür, durch die Schwester Deodata zuletzt verschwunden war. Auf der Suche nach dem Keller irrte sie eine Zeit lang durch verschiedene Gänge, bis sie endlich eine Treppe gefunden hatte, die nach unten führte.
Der gebrochene Arm lag starr wie totes Holz vor ihrer Brust, doch er pochte und brannte so sehr, dass sie ein schmerzvolles Stöhnen nicht unterdrücken konnte. Die Nachtleuchte in ihrer Hand flackerte, als sie vorsichtig die Treppe hinabstieg.
Du lieber Himmel, was tu ich hier bloß!, dachte sie. Sie fürchtete sich fast zu Tode, doch sie ging weiter.
Die steinernen Stufen unter ihren nackten Füßen waren eiskalt.
In derselben Nacht
Wie immer wartete Timoteo inmitten der Oleanderbüsche auf sie. Wenn sie länger in die Dunkelheit spähte, erkannte sie das schwache Glimmen seiner Laterne.
Die weißlichen Blüten am Ufer des Flusses waren nur noch vereinzelt zu sehen. Während Celestina sich im Licht ihrer Talgleuchte ihren Weg durch das Gehölz bahnte, wurde ihr nicht zum ersten Mal bewusst, dass der verblühende Oleander Sinnbild des schwindenden Sommers war. Vor allem aber verdeutlichte er, dass die Nächte, in denen sie sich treffen konnten, gezählt waren.
Ihre Brust schnürte sich zusammen, weil diese Begegnungen schon bald der Vergangenheit angehören würden. Sie konnte sich nicht einmal damit trösten, dass sie ihn auch bald wieder tagsüber treffen konnte, in ein paar Wochen, wenn im Oktober die Vorlesungen begannen. Wer wusste schon, was bis dahin geschah. Ihre Zweifel, ob sie ihre Scharade einfach wieder aufnehmen und weiterführen konnte, wuchsen von Tag zu Tag. Es wussten zu viele Menschen davon, und zu viele hatten sie bereits als Frau gesehen. Man würde Fragen über den vermeintlichen Bruder stellen, die Neugier würde um sich greifen und eines Tages ein Ziel finden. Marta verließ zwar kaum noch das Haus, sie besuchte keinerlei gesellige Veranstaltungen mehr und schaffte es wegen ihrer zunehmenden Schwäche nur noch selten zur Sonntagsmesse. Doch alle übrigen Familienmitglieder gingen getreulich zur Kirche und waren auch darüber hinaus in der Stadt unterwegs. Es war nur eine Frage der Zeit, bis irgendwer sie auf Marino da Rapallo ansprach.
»Celestina?« Das war Timoteos Stimme. Leise rief er sie beim Namen.
Auf einmal waren alle Sorgen gegenstandslos. Endlich sah sie ihn bei dem umgestürzten Baum. Bei seinem Anblick schlug ihr Herz so hart, dass sie kaum Luft bekam.
Sie beeilte sich, zu ihm zu kommen. Es half nichts, dass sie sich eine Närrin schalt und sich immer wieder sagte, dass sie einen Fehler beging. Ihre Sehnsucht nach ihm wurde von Mal zu Mal stärker. Die anfangs gehegte Hoffnung, ihr Verlangen werde sich rasch legen, wenn sie es erst einige Male zur Genüge ausgekostet hatte, war zerstoben wie Rauch im Sturm. Geblieben war der Wunsch, dass diese Leidenschaft nie enden möge. Sie wollte seine Berührungen spüren, ihn in sich haben, ihn schmecken und riechen. Egal, wie viel er ihr auch gab – es schien nie genug zu sein. Ihr Herz war so übervoll von diesen Gefühlen, dass sie manchmal Angst davor bekam. Die verbotene Liebschaft war wie ein wilder Ritt durch unwegsames Gelände, über schwindelnde Höhen und durch unerforschte Täler, bei dem es niemals festen Grund unter den Füßen gab.
Ihr blieb kaum Zeit, die Lampe abzustellen, als er auch schon die Arme um sie legte und sie an sich presste und dabei zugleich hochzog, als wöge sie nichts. Ihre Füße baumelten in
Weitere Kostenlose Bücher