Das Mädchen aus Mantua
meisten Kranken auch sein mochten – Arcangela hätte schwören können, dass etliche Kerle darunter waren, die noch genügend Kraft für ein paar schmutzige Gedanken aufbrachten.
Mittlerweile hatte der Frater ihr eine hölzerne Schiene angepasst. Er hatte den Arm sorgfältig verbunden und in eine Schlinge gelegt, die sie um den Hals trug. Seitdem konnte sie wieder aufstehen. Zu den Latrinen durfte sie nicht gehen, aber wenigstens konnte sie einen der Nachtstühle benutzen, die hinter Wandschirmen verborgen waren. Oder sie konnte sich für kurze Zeit an eines der Fenster stellen, wenn gelüftet wurde.
Das Schicksal der Kranken deprimierte sie; beim Anblick des versammelten Leids kämpfte sie häufig mit den Tränen. Viele der Patienten waren nicht nur krank, sondern auch alt, manche konnten nicht einmal mehr den Kopf heben, sie mussten im Liegen gefüttert und wie Kleinkinder gewindelt werden. Gelegentlich war der Verwesungsgestank ihrer offenen, nie heilenden Wunden so stark, dass Arcangela sich Mund und Nase zuhalten musste, um sich nicht zu übergeben.
Für Arcangela war es unvorstellbar, dass dieses Spital im Vergleich zu anderen ein Musterbeispiel fortschrittlicher Krankenpflege war. Filiberto hatte ihr von seinen Reiseerfahrungen erzählt. In Paris, so wusste er zu berichten, gebe es ein großes Spital, wo die Patienten kein eigenes Lager zugewiesen bekamen, sondern zu viert oder zu fünft in einem einzigen Bett liegen mussten.
»Natürlich sind diese Betten breiter als diese hier, aber stellt euch vor, ihr liegt mit vier stinkenden alten Weibern, die womöglich noch fortgesetzt unter sich lassen, unter einer Decke!«
Das wollte Arcangela sich nun wirklich nicht vorstellen.
Lieber dachte sie an Vitale, an seinen Mut und seine unerschütterliche Stärke. Er vermittelte ihr das Gefühl von Geborgenheit, auch wenn sie manchmal achtgeben musste, dass es nicht zu viel wurde.
Was Galeazzo betraf, so brachte er sträflicherweise ihr Herz ebenfalls immer noch heftig zum Klopfen, wie sie gleich darauf feststellte. Er kam sie tatsächlich besuchen!
Die Besorgnis in seiner Miene war Balsam für ihre Seele. Er war sichtlich außer sich über das, was ihr widerfahren war. »Arcangela, ich kann es immer noch nicht fassen! Wie konnte das geschehen?«
Zu ihrem Schrecken setzte er sich zu ihr aufs Bett. Hätte sie nicht abwehrend die Hand gehoben, hätte er sie womöglich noch vor aller Augen geküsst. So aber beschränkte er sich darauf, sie mit Fragen zu bestürmen. Sie erzählte ihm dasselbe, was Vitale zu seinen Männern gesagt hatte. Ihr schien, dass Galeazzo ihr vielleicht nicht alles glaubte, aber das hinderte ihn nicht daran, auf der Bettkante sitzend bei ihr auszuharren. Er habe, so berichtete er, einen der Pfleger bestochen, damit er bei ihr sein konnte. Offenbar wollte er die erkaufte Zeit nun auch nutzen.
Da sie fürchten musste, dass sich auch bald Vitale hier blicken ließ, rang sie sich schließlich dazu durch, Galeazzo fortzuschicken. »Ich bin sehr müde und muss jetzt ruhen«, behauptete sie, worauf er widerstrebend abzog.
»Dieser junge Mann ist wohl ein Verehrer von Euch, was?«, fragte Filiberto.
»Nicht nur er, sondern auch der Capitano«, sagte die Greisin, die im Bett zu seiner anderen Seite lag. Zu Arcangelas Leidwesen hatte sie trotz ihres hohen Alters noch gute Augen und Ohren. »Gegen zwei Verehrer lässt sich jedoch nichts einwenden«, fuhr die Alte fort. Verschwörerisch kniff sie ein Auge zu. »Man will ja nicht die Katze im Sack kaufen.«
Arcangela stellte sich schlafend. Wenig später zeigte sich, dass sie Galeazzo gerade noch rechtzeitig weggeschickt hatte. Vitale stattete ihr einen Besuch ab, um sich zu vergewissern, dass ihre Genesung Fortschritte machte.
»Du musst doch nicht eigens während deiner Dienstzeit herkommen«, sagte sie, während sie aufs Peinlichste der Blicke gewahr wurde, die von den benachbarten Betten kamen.
»Ich war sowieso in der Gegend. Davon abgesehen handelt es sich um einen aktenkundigen Fall, für den ich als Ordnungshüter zuständig bin. Schließlich wurdest du Opfer eines Gewaltverbrechens, somit liegt es nahe, dass ich nach dir sehe. Außerdem will ich wissen, ob der Physikus heute schon da war und sich um dich gekümmert hat.«
»Ja, er war da«, sagte Arcangela. Sie erinnerte sich nur schaudernd daran. Der Kerl hatte ein Glas aus seiner Tasche genestelt und von ihr verlangt, dass sie hineinpinkelte, was sie entrüstet abgelehnt hatte.
Weitere Kostenlose Bücher