Das Mädchen aus Mantua
Blößen bedeckte, aber kaum Wärme spendete, und ihre Füße tappten über Steine, die so kalt waren, als herrsche bereits Winter.
Hier unten war es stockfinster. Keine Kerzenhalter an den Wänden, nirgends eine Nachtleuchte zum Erhellen der Dunkelheit. Schwere, aus groben Holzbrettern zusammengefügte Türen gingen rechts und links von dem Flur ab. Probeweise versuchte sie, eine davon zu öffnen, doch sie war verriegelt.
Langsam ging sie weiter. Was war das für ein abscheulicher Gestank? Es roch wie oben im Krankensaal, nach fauligen Wunden und stinkenden Exkrementen. Ob man hier unten auch Patienten behandelte?
Nachdem sie etwa die Hälfte des Gangs zurückgelegt hatte, sah sie den Lichtschein, der unter einer der Türen hervordrang. Dann hörte sie auch die Stimmen. Es war eher ein Gemurmel, stark gedämpft durch die geschlossene Tür, unmöglich zu sagen, ob ein Mann oder eine Frau sprach. Der Geruch war hier stärker, und es war nicht nur irgendein übler Geruch, sondern der erstickende Gestank nach Verwesung, wie sie ihn erst einmal in ihrem Leben wahrgenommen hatte, damals, nach dem Tod ihrer Mutter, die man im Leichenhaus der Kirche aufgebahrt hatte. Sie lag dort nicht allein, sondern zusammen mit anderen Toten. Man konnte nicht alle sofort bestatten, bei manchen dauerte es Tage, bis alle Formalitäten erledigt und die nötigen Vorbereitungen für die Totenmesse getroffen waren. Die Verstorbenen focht es nicht an, sie lagen würdevoll und bleich in ihren weißen Hemden auf den Bahren und warteten stumm, dass man sie unter die Erde brachte. Doch für die Lebenden war es ein Gräuel, sie dort ausgestreckt zu sehen, äußerlich scheinbar unversehrt und friedlich, doch von einem Geruch umgeben, der keinen Zweifel an der Vergänglichkeit des Fleisches ließ.
Sie hatte damals nur einen Blick auf ihre tote Mutter tun können, von der offenen Tür der Leichenhalle aus, dann war sie zurückgewichen und hatte sich im Vorhof der Kirche erbrochen.
Hier herrschte derselbe Geruch. Hinter dieser Tür befanden sich Leichen! Das war so sicher wie das Amen in der Kirche.
Ein Scheppern tönte von drinnen, etwas war heruntergefallen, dann eine ärgerliche Frauenstimme – es war die von Schwester Deodata. Arcangela fuhr unwillkürlich zurück. Sie stieß mit dem Rücken gegen eine Holztür, was einen hörbaren Aufprall zur Folge hatte.
»Da ist doch jemand«, hörte sie die Nonne sagen.
Schritte näherten sich der Tür.
Arcangela trat ohne zu zögern den Rückzug an. So schnell sie konnte, lief sie in Richtung Treppe. Ohne innezuhalten hetzte sie die Stufen hoch, keuchend und voller Angst, sie könne ins Straucheln geraten. Mit dem verletzten Arm konnte sie schlecht das Gleichgewicht bewahren, und mit der gesunden Hand konnte sie sich nirgends festhalten, weil sie die Lampe tragen musste. Als sie endlich den Krankensaal erreichte, taten ihr die Seiten vom Laufen weh, sie bekam kaum noch Luft. Sie stellte die Lampe einfach auf dem nächstbesten Tisch ab und eilte weiter. Nur mit Mühe erreichte sie ihr Bett, es war schwer zu finden bei den unzulänglichen Lichtverhältnissen. Schwer atmend tastete sie sich hinein, zog die Decke über sich. Vom Nachbarbett hörte sie Filiberto einen fragenden Laut von sich geben, doch darauf reagierte sie nicht. Zu ihrer Erleichterung blieb er still liegen.
Bald darauf kam ein schwankendes Licht näher. Eine Nonne, die eine Kerze trug. Es war Schwester Deodata. Arcangela lugte vorsichtig unter einer Haarsträhne hervor und verfolgte, wie die Nonne von Bett zu Bett ging und den Schlafenden ins Gesicht leuchtete.
Sie hielt die Luft an und muckste sich nicht. Als die Nonne zu ihr ans Bett trat und mit der Kerze in der Hand stehen blieb, atmete sie gleichmäßig und ruhig. Die Augen hielt sie fest geschlossen. Es schien eine Ewigkeit zu dauern, bis die Nonne endlich weiterging. Arcangela betete unterdessen im Stillen so viele Ave-Maria, dass ihr davon schwindelte. Sie tat Buße für Sünden, die sie nie begangen hatte.
Wenig später verklangen die Schritte der Nonne, die Gefahr war überstanden. Dennoch bekam Arcangela in dieser Nacht kein Auge mehr zu. Sie lag wach bis zum frühen Morgen.
Zwei Wochen später, Ende September
Celestina hielt eine Kerze vor das Schröpfglas und erhitzte das Innere, dann setzte sie das Glas auf dem Rücken ihrer Tante auf und sah zu, wie es sich mit leisem Schmatzen festsaugte und die Haut darunter sich emporwölbte. Marta lag bäuchlings auf ihrem Bett,
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