Das Mädchen aus Mantua
die verschränkten Arme unter dem Kopf. Ihr zur Seite gewandtes Gesicht war im Licht der Öllampe genauso bleich wie ihr Körper. Von ihrer früheren Fülligkeit war nichts mehr zu sehen, sie hatte so viel abgenommen, dass man die Rippen unter der Haut zählen konnte. Das einstmals feiste Gesicht war kaum wiederzuerkennen. Die Wangenknochen traten hervor, die Haut war fahl und knittrig wie Pergament.
Im Hintergrund saß die alte Immaculata, ein grauer Schatten in ihrem Lehnstuhl. Während des gesamten Schröpfvorgangs sagte sie kein einziges Wort, wofür Celestina dankbar war, denn die höhnischen Bemerkungen der alten Frau machten sie reizbar und wütend, und ihrer Tante taten sie erst recht nicht gut.
Marta hatte der Alten nichts entgegenzusetzen außer hilflosen Tränen und stammelnden, halbherzigen Vorwürfen.
Mit ihrer Krankheit selbst schien sie sich jedoch abgefunden zu haben. Duldsam nahm sie hin, dass es gegen ihre zunehmende Schwäche und Auszehrung bisher kein geeignetes Mittel gab. Während sie mit all den übrigen Wehwehchen, angefangen von den Warzen über die Furunkel bis hin zu den Hämorrhoiden, stets heftig gehadert und ihren Anspruch auf Heilung mit dem größten Eifer verteidigt hatte, empfand sie diese neuere, wirklich ernste Bedrohung ihres Lebens offenbar als unabänderlich.
Nach der Schröpfkur deckte Celestina die kreisrunden, tiefroten Flecken mit einem vor dem Kaminfeuer angewärmten Tuch ab und ließ ihre Tante ruhen.
»Das Beste wäre, wenn sie bis zur Vesper schlafen kann«, sagte sie leise zu Immaculata.
Die alte Frau blickte sie unter gesenkten Lidern hervor an. Ihr Lächeln hatte etwas Verschlagenes. »Keine Sorge, sie kriegt so viel Ruhe, wie sie braucht.«
Es klang seltsam doppeldeutig, doch Celestina wollte ihre Tante nicht stören und verzichtete daher auf Nachfragen.
Still verließ sie das Zimmer und kehrte zu Arcangela zurück. Ihre Stiefschwester langweilte sich zu Tode. Seit dem Armbruch zum Nichtstun verdammt, blieb ihr nicht viel anderes, als auf dem Zimmer zu hocken und Trübsal zu blasen. Der Bruch heilte zwar gut, aber sie musste den Arm weiterhin mitsamt dem Schienenverband in der Schlinge tragen, was sie bei allen Tätigkeiten, die ihr sonst das Leben verschönten, nachhaltig behinderte. Weder konnte sie sich einhändig waschen oder umkleiden, noch frisieren oder den Abtritt benutzen, vom Ausgehen ganz zu schweigen. Gentile hatte ihr zwar angeboten, sie mit dem Pferdewagen nicht nur zur Kirche, sondern auch sonst überallhin zu fahren, doch das konnte sie, jedenfalls soweit es ihre Liebschaften betraf, schlecht in Anspruch nehmen. So blieb ihr nur, mit links gekrakelte, sehnsüchtige Briefbotschaften an Vitale und Galeazzo zu schreiben und darauf zu warten, dass sie ihren rechten Arm wieder gebrauchen konnte.
Schlecht gelaunt saß sie auf ihrem Bett, mit dem Rücken an das Kopfteil gelehnt, eines von Celestinas Anatomiebüchern auf den angezogenen Knien.
»Mein Gott«, sagte sie erschüttert beim Aufblättern einer Seite. »Was haben sie mit diesem armen Kerl gemacht?«
Celestina beugte sich über die Illustration. Sie zeigte einen aufrecht stehenden Mann, nackt bis auf einen winzigen Lendenschurz. Sein Körper war von allen nur erdenklichen Waffen durchbohrt. Aus einem Schenkel ragte ein Pfeil, durch den anderen ging ein Spieß. Im linken Oberarm steckte eine Axt, in der rechten Schulter ein Säbel, in der Wange ein Messer und im Auge ein Degen. Mitten durch den Körper ging ein gewaltiges Schwert.
»Das ist ein Wundenmann«, sagte Celestina. »Er soll unterschiedliche, durch Waffengewalt verursachte Verletzungen demonstrieren.«
»Wer schreibt um Himmels willen solche Bücher!«
Arcangela blätterte zurück zum Vorsatzblatt. »Aha, ein Deutscher.«
»Es ist eine bahnbrechende medizinische Schrift«, verteidigte Celestina das Werk des Hans von Gersdorf. »Übrigens enthält es auch eine Abbildung der Streckvorrichtung, mit der dein Arm gerichtet wurde.«
»Ich weiß«, sagte Arcangela verdrossen. »Dieses grässliche Folterinstrument habe ich gleich als Erstes gefunden.« Bevor sie sich weiter über die schmerzhaften Gemeinheiten des Lebens beklagen konnte, klopfte es an der Zimmertür. Morosina brachte eine Botschaft. Erfreut richtete Arcangela sich auf und legte das Buch weg.
Doch in diesem Fall war die Nachricht nicht für sie bestimmt, sondern für Celestina. Diese nahm das zusammengefaltete Stück Papier errötend entgegen. Sie hatte in den beiden
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