Das Mädchen aus Mantua
letzten Wochen nichts von Timoteo gehört; sie hatte sich für eine Weile Abstand ausbedungen, jedenfalls so lange, bis feststand, ob ihr letzter Liebesakt unerwünschte Folgen hatte. Zu ihrer grenzenlosen Erleichterung hatte sie vor drei Tagen ihre Monatsblutung bekommen und ihm sofort eine Botschaft geschickt, seither rechnete sie täglich mit einer Antwort.
Ungeduldig riss sie das Siegel auf und klappte das Papier auseinander. Zu ihrer Enttäuschung stammte die Nachricht nicht vom ihm, die Schrift war ihr fremd.
Werte Monna Ruzzini , las sie.
Verzeiht, dass ich Euch auf diesem Wege anspreche, aber aufgrund einer gewissen Dringlichkeit bleibt mir keine andere Wahl. Euren sofortigen Beistand erbittend, hoffe ich auf Euer Kommen.
Eure untertänigste Dienerin
Brodata Caliari
»Was ist?«, wollte Arcangela wissen. »Was schreibt er?«
»Es ist nicht von ihm.«
Besorgt las sie die Zeilen ein zweites Mal. Sie versuchte, die Worte zu deuten, doch sie kam dabei immer wieder zu der Auslegung, dass ihre medizinische Hilfe benötigt wurde. Aber von wem? Aus der Sorge wurde Furcht. Vielleicht war Timoteo erkrankt!
Eilig holte sie die Tasche, die ihr, neben den Büchern, von Jacopo hinterlassen worden war und die er immer mitgenommen hatte, wenn man ihn zu Notfällen rief. Darin befanden sich einige wichtige Instrumente, Nahtmaterial sowie sauber aufgerollte Leinenverbände und blutstillende Baumwollkompressen.
Arcangela war aus dem Bett gekrabbelt und las die Nachricht. »Ach, du meine Güte! Die eiserne Jungfrau schreibt dir!«
»Wie kommst du auf den Namen?«, fragte Celestina, während sie sich den Umhang umlegte.
»Galeazzo erzählte mir mal, dass man sie so nennt. Jungfrau , weil sie nie verheiratet war, und eisern , weil sie im Hause Caliari ein strenges Kommando führt.«
Celestina nahm es kommentarlos zur Kenntnis. Timoteo hatte mit ihr nie darüber gesprochen, so wie er bisher überhaupt kaum etwas über seine Familie erzählt hatte. Nicht ohne Bitterkeit erkannte sie, dass sie kaum je über alltägliche Belange redeten. Sie kamen zusammen wie zwei Verdurstende in der Wüste, stürzten sich aufeinander und nahmen sich vom anderen, was sie brauchten. Sobald sie ihr Verlangen gestillt hatten, richteten sie ihre Kleidung und trennten sich wieder.
Arcangela hingegen hatte gleich zu zwei Männern eine Beziehung, die nicht nur von Leidenschaft, sondern auch von Vertraulichkeit bestimmt war. Für sie war es wichtig, nach dem körperlichen Akt in den Armen ihres Liebhabers zu liegen, seine Stimme zu hören und seine Gedanken zu teilen.
»Ohne das wäre doch alle Liebe nichts«, hatte sie erst vor wenigen Tagen kategorisch erklärt, als Celestina sie gefragt hatte, was genau sie von den Männern wollte.
Mit gerunzelter Stirn blickte Arcangela auf Jacopos Tasche. »Glaubst du, dass jemand bei den Caliaris krank ist?«
»Das werde ich gleich herausfinden.«
»Celestina, ich habe kein gutes Gefühl bei der Sache. Pass bitte gut auf dich auf!«
Auf der Treppe lief sie beinahe in Guido hinein. Er war unsicher auf den Beinen, und an seinem Atem merkte sie, dass er getrunken hatte. Sein elegantes Samtwams stand offen, sein besticktes Hemd war verrutscht, und der fein gefältelte Spitzenkragen, der tellerförmig den Hals umschloss, war zerknittert und befleckt.
Naserümpfend wollte sie ihn vorbeilassen, doch er fasste sie beim Arm und hielt sie fest. »Werte Cousine«, sagte er mit verwaschener Stimme. »Schon wieder auf dem Sprung zu Besorgungen, die von einem Geheimnis umweht sind, was? Mit der Arzttasche, wie ich sehe. Aber in der falschen Kleidung. Hast du vergessen, dir Hosen anzuziehen?«
Sie blickte sich nach allen Seiten um, doch außer ihr und Guido war niemand zu sehen oder zu hören.
»Ich hab’s eilig, Guido.« Verärgert schüttelte sie seine Hand ab.
»Mutter ist sehr krank«, sagte er übergangslos.
Sie blieb stehen. »Ja, das stimmt.« Wachsam blickte sie ihn an. Seine blutunterlaufenen Augen waren trüb, er war schwer angetrunken, doch den letzten Satz hatte er nicht einfach nur so dahingesagt. Er wollte etwas Bestimmtes zum Ausdruck bringen, seine Stimme hatte einen lauernden Unterton.
»Wieso kannst du ihr nicht helfen?«
»Ich versuche doch alles, Guido.«
»Das glaube ich dir nicht.«
Sie hielt die Luft an, denn in seinem Blick war plötzlich eine Wut, die ihr Angst machte.
»Wenn du wirklich alles versuchen würdest, wäre sie nicht so krank.«
Der Vorwurf war so lächerlich, dass
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