Das Mädchen aus Mantua
der davon wusste.
Celestina verließ das Haus. Draußen zog sie den Umhang fester um sich. Es war kühl geworden. Die letzten Septembertage hatten den Spätsommer vertrieben. Es regnete nun häufiger, und der Wind blies kalt durch die Gassen. Wenn die Sonne herauskam, wärmte und vergoldete sie alles noch auf angenehme Weise, doch die Zeit der heimlichen nächtlichen Treffen war ohne Frage vorüber. Celestina wusste es ebenso gut wie Arcangela. Die Reizbarkeit ihrer Stiefschwester hing nicht nur mit dem gebrochenen Arm zusammen – sie wusste, dass das Leben in naher Zukunft um einiges ereignisloser werden würde. Celestinas eigene Verstimmung war sicherlich zum großen Teil ebenfalls darauf zurückzuführen. Sie war vernünftig genug, sich in diesem Punkt nichts vorzumachen. In ihrem späteren Leben würde sie sich bestimmt sehr oft an diese leidenschaftliche, gefährliche Zeit erinnern, die untrennbar mit dem Sommer in Padua verknüpft war. Und Timoteo würde gewiss ebenfalls noch oft daran denken. Für ihn war sie die erste Frau gewesen, weshalb sie sicher sein konnte, dass er sie nie vergaß.
Dieses Wissen empfand sie als tröstlich. Die Vorstellung, er könne sie vergessen, war ihr unerträglich. Eine unvernünftige Regung, doch so war es nun einmal.
Gedankenverloren legte sie den restlichen Weg zum Haus der Caliari zurück. Es nieselte, und der Wind fuhr ihr unter den Umhang und blähte ihn. Das Kopfsteinpflaster war rutschig unter ihren Schuhsohlen, und einige kleinere Gassen musste sie umgehen, weil sie aus festgestampftem Lehm bestanden, der sich durch den Regen in Schlamm verwandelt hatte.
Der Prato della Valle war in feuchten Nebel getaucht, desgleichen die Basilika des heiligen Antonius.
Das Haus der Familie Caliari war von solider Bauart. Die Mauern waren mit einer Sandsteinfassade versehen, die Fenster hatten neuere Butzenscheiben. Davon abgesehen war es eher schlicht; mit dem vornehmen Gepränge des Bertolucci-Anwesens konnte es nicht mithalten, es war von den Ausmaßen her höchstens halb so groß und hatte ein Stockwerk weniger. Eine Mauer gab es nicht, es lag direkt an der Gasse und war an der einen Seite vom Nachbarhaus, an der anderen von Kutschenhaus und Pferdestall begrenzt.
Zögernd legte Celestina ihre Hand an den Türklopfer, der die Form eines Löwenkopfes hatte. Es war, als würde sie mit der Berührung dieses kalten runden Bronzeknaufs eine Grenze überschreiten, der sie sich besser ferngehalten hätte.
Das Klopfen klang hohl und endgültig, für einen Rückzug war es zu spät. Erschaudernd fasste sie die Tasche fester und wartete, bis sich von drinnen Schritte näherten. Sie waren fest, die eines Mannes. Ihr Herz fing an zu hämmern. Alberto konnte nicht laufen, also war es vielleicht … Die Tür ging auf. Nein, nicht Timoteo. Sein Bruder Hieronimo. Perplex starrte er sie an. »Celestina!«
Sie bemühte sich um ein Lächeln. »Messèr Caliari …«
»Hieronimo«, korrigierte er sie.
Sie räusperte sich. »Ich habe die Nachricht Eurer Tante erhalten und bin sofort hergekommen. Wie kann ich helfen?«
Er betrachte sie, dann fiel sein Blick auf ihre Tasche. Er runzelte befremdet die Stirn, doch dann hellte sich seine Miene auf. »Wie unhöflich von mir, Euch bei diesem Wetter vor der Tür stehen zu lassen! Kommt erst einmal herein. Ihr werdet Euch sonst noch den Tod holen. Eure Schuhe sind ganz nass! Und der Umhang erst!«
Er hielt ihr die Tür auf, und notgedrungen folgte sie ihm in ein schmales Vestibül und von dort in ein Kaminzimmer. Vor dem flackernden Feuer standen mehrere Lehnstühle, und vor einem der beiden Fenster eine Ottomane. Celestina blickte sich um. Wider Erwarten war der Raum recht anheimelnd, hier hatte zweifellos die Hand einer Frau gewirkt. Draperien aus verblichener Seide rahmten die Fenster ein, in einer Ecke gab es eine mit Schnitzmustern versehene Standuhr und auf den Eichenbohlen lag ein persischer Teppich. Dessen Muster waren etwas verschossen, er hatte schon bessere Tage erlebt, aber er gab dem Zimmer eine gemütliche Note.
Hieronimo nahm ihr den Umhang ab und bat sie, es sich in einem der Sessel bequem zu machen. Er forderte sie auf, die Schuhe abzulegen, damit sie vor dem Feuer trocknen konnten, doch das lehnte sie höflich, aber entschieden ab.
Er hängte den Umhang an einen Wandhaken und rief dann nach der Hausmagd, die er aufforderte, heißen Würzwein zu bringen.
»Das ist wirklich nicht nötig«, sagte Celestina.
»Unsinn«, sagte er.
Weitere Kostenlose Bücher