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Das Mädchen aus Mantua

Das Mädchen aus Mantua

Titel: Das Mädchen aus Mantua Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte Thomas
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»Ihr seid unser Gast, also werde ich dafür sorgen, dass Ihr Euch wohlfühlt.«
    Davon war sie trotz des gut gepolsterten Sessels und der angenehmen Wärme weit entfernt. Sie musterte Hieronimo ein wenig beklommen. Seine große, kräftige Gestalt schien den Raum gänzlich auszufüllen. Er trug einfache Beinkleider und dazu ein weißes Hemd mit bauschigen Ärmeln. Die Füße steckten in schlichten Holzpantinen, wie sie häufig im Haus getragen wurden. Das Wams war an den Seiten locker geschnürt und wies keinerlei Verzierungen auf. Er wirkte erdverbunden und bodenständig, doch nie würde sie auf den Gedanken kommen, ihn als bäuerlich zu bezeichnen. Das dunkle Haar trug er recht kurz, bis auf ein paar Stirnlocken war es sorgfältig gestutzt. Wie sein Bruder war er glatt rasiert, doch auch bei ihm zeigte sich ein starker Bartschatten an Kinn und Wangen. Celestina errötete, denn unwillkürlich musste sie daran denken, wie oft Timoteo ihr mit wilden Küssen schon die Haut aufgescheuert hatte. Manchmal hatte man es sogar am nächsten Morgen noch gesehen.
    »Wenn ich nun mit Eurer Tante sprechen könnte …«
    »Oh, die ist gerade nicht da«, sagte Hieronimo. Er ließ sich in dem Sessel neben ihr nieder, dann rückte er ihn so zurecht, dass er ihr gegenübersaß, kaum eine Armlänge von ihr entfernt.
    Celestina hob ihre Tasche an und stellte sie auf ihren Knien ab, fast wie einen Schutzschild. »Wann kommt sie zurück?«
    »Es kann nicht mehr lange dauern. Sie wollte nur zu einer kurzen Besorgung weg.«
    »Ist jemand hier im Haus krank?«
    »Wie kommt Ihr darauf?«
    »Nun, nach der Botschaft Eurer Tante dachte ich …«
    »Was schrieb sie denn?«
    Celestina zitierte den Inhalt der Nachricht, woraufhin Hieronimo sich nachdenklich zurücklehnte und die Beine übereinanderschlug. Seine Waden waren muskulös und seine Füße ziemlich groß, noch eine Äußerlichkeit, die sie an Timoteo erinnerte. Er roch sogar ähnlich. Celestina wäre am liebsten aufgesprungen und aus dem Haus geflohen.
    »Nun ja, ich kann mir vorstellen, dass es um Vater geht.«
    »Wo ist er?«
    »Mit Timoteo aufs Land gefahren. Vater braucht das. Hätte er diese Ausfahrten nicht, käme er überhaupt nicht mehr aus dem Haus. Wie Ihr wisst, ist er gelähmt. Früher ging er noch auf Krücken, doch das hat er bereits vor Jahren aufgegeben, weil er immer häufiger hinfiel. Seither sitzt er meist im Rollstuhl. Vielleicht hat Tante Brodatas Schreiben damit zu tun.« Hieronimo trank von seinem Wein. »Durch das viele Sitzen bekommt er häufig wunde Stellen an …« Er unterbrach sich, anscheinend war es ihm peinlich. »Mit mir spricht er nicht darüber, er duldet es nicht einmal, wenn in seiner Gegenwart darüber geredet wird. Aber wir bekommen es natürlich mit, weil er gewisse … Dinge nicht allein tun kann. Doch wehe, einer von uns sagt etwas. Er will es wohl einfach nicht wahrhaben und erduldet lieber die Schmerzen, als auch nur ein Sterbenswörtchen darüber zu verlieren.«
    »Viele Kranke reagieren so«, sagte Celestina. »Gerade, wenn es um Belange geht, die ihnen vor Dritten peinlich sind.«
    »Tja, mit der Peinlichkeit ist es nicht sonderlich weit her, wenn man sich von besagten Dritten auf den Topf und wieder herunter helfen lassen muss.« Diesmal fasste Hieronimo es unverblümt in Worte.
    »Was ist mit Eurem Bruder? Ein angehender Arzt, wie ich hörte. Kann er nicht bei gewissen gesundheitlichen Problemen helfen?«
    »Nun ja, er ist, im wahrsten Sinne des Wortes, mit seinem Latein am Ende, was Vaters Leiden angeht. Nicht, dass er nicht hilfsbereit wäre, im Gegenteil. Er tut alles, was er kann, um es Vater leichter zu machen. Manchmal wächst der Junge richtig über sich hinaus. Aber Vater … nun, er ist schwierig. Ein Krüppel zu sein bedeutet mehr, als nicht mehr gehen zu können.«
    »Ich verstehe. Trotzdem ist mir nicht ganz klar, wieso Eure Tante ausgerechnet mir eine Nachricht deswegen zukommen ließ.«
    »Oh, das erklärt sich leicht. Erst neulich sprach sie darüber, mit welcher Kompetenz Ihr Euch um Eure sieche Tante kümmert, und dass Ihr ein wahrer Segen für die Ärmste seid. Sie sprach von Euch, als wäret Ihr ein Engel in Menschengestalt.«
    »Woher weiß sie, dass ich mich um meine Tante kümmere?«
    »Padua ist in mancher Beziehung ein Dorf«, sagte Hieronimo. »Alle Welt weiß, dass Eure Tante bis zu Eurer Ankunft einen Medicus nach dem anderen konsultierte, es gab keinen Arzt oder Bader mehr im weiten Umkreis, der sich noch

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