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Das Mädchen aus Mantua

Das Mädchen aus Mantua

Titel: Das Mädchen aus Mantua Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte Thomas
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schien stillzustehen und die Luft ringsumher mit einer seltsamen Macht aufgeladen. Es war beinahe so, als gebe es keine Entfernung zwischen ihnen, als müsse sie nur die Hand ausstrecken, um ihn zu berühren.
    Dann läutete die Glocke zum Zeichen des nahen Vorlesungsbeginns und zerriss den Zauber. Die Scholaren setzten sich in Bewegung und strömten in Pulks zu den Hörsälen. Plaudernd und lachend versperrten sie Celestina die Sicht, bis sie sich schließlich ebenfalls aufmachte, sorgsam darauf achtend, Baldo nicht über den Weg zu laufen. Doch der hatte sich bereits mit seinen Freunden nach oben begeben.
    Timoteo dagegen wartete am Fuß der Treppe auf sie. Er lächelte sie zärtlich an, und ihr Herz geriet ins Stolpern. Er hatte ihr noch nicht gesagt, dass er sie liebte, doch sie wusste es auch so. Ihre Hände zuckten in dem Bedürfnis, ihn zu berühren, und noch lieber hätte sie ihn umarmt und geküsst. Dabei war sie davon überzeugt, dass man ihr jede Regung am Gesicht ansah. Mit schlechtem Gewissen schaute sie sich um, doch niemand achtete auf sie.
    »Guten Morgen«, sagte er leise. »Ich freue mich, dich wiederzusehen – Marino.«
    Sie nickte nur, den Kopf gesenkt, weil sie es nicht wagte, ihn noch länger anzusehen. Schweigend gingen sie nebeneinander her, die Treppe hinauf und weiter zum Vorlesungssaal der Mediziner.
    Die erste Vorlesung an diesem Tag fand in theoretischer Anatomie statt, die nächste bestand in einer Vorführung im Teatro Anatomico. Wie Celestina bereits in Gesprächsfetzen unten im Hof aufgeschnappt hatte, gab es gleich am ersten Tag nach den Ferien bereits eine Leiche. Ein Selbstmörder, den man vor den Toren der Stadt gefunden hatte. Sie hoffte inständig, dass er nicht an Gift gestorben war.
    Im Vorlesungssaal nahmen sie ihre Plätze ein, nebeneinander sitzend wie vor den Ferien, doch zugleich gebührenden Abstand voneinander haltend, damit sie nicht auffielen. Letzteres, so meinte Celestina, war kaum zu bewerkstelligen, denn sie hatte den Eindruck, dass man ihr die Gefühle an der Nasenspitze ansah. Betont gleichmütig blickte sie zum Katheder, wo soeben ein Dozent Aufstellung bezog, um die Studenten zu begrüßen und dann aus einem Lehrbuch vorzutragen. Er gab einen Abschnitt wieder, der sich mit dem Knochenaufbau befasste. Timoteo beugte sich zu ihr hinüber und erklärte leise, dass sie Ähnliches bereits im Vorjahr durchgenommen hätten, nur aus einem anderen Buch. Celestina hatte bereits vermutet, dass sich der Stoff in unterschiedlichen Varianten mehr oder weniger wiederholte, nicht nur mit dem Ziel, andere Meinungen kennenzulernen, sondern auch gegensätzliche Standpunkte der Verfasser dieser Werke herauszuarbeiten und sich entweder dem einen oder dem anderen anzuschließen – oder eine eigene Ansicht zu entwickeln. Und die einmal eingenommene Anschauung dann in wissenschaftlicher Auseinandersetzung gegen andere Meinungen zu verteidigen. Auf diesem Prinzip des Theorienstreits basierte die Disputation, aufgrund derer man die Promotion erlangen konnte.
    Wie sie von Timoteo erfahren hatte, wollte er seine Disputation auf dem Gebiet der Knochen absolvieren. Im menschlichen Körper gab es Hunderte davon, und jeder Einzelne hatte seine Funktion. Aufbau, Anordnung und die wechselseitige Beeinflussung durch Gelenke und Sehnen – das war ein weites Feld, aber auch ein höchst interessantes.
    Celestina hatte ihm davon erzählt, wie Arcangelas Oberarmknochen eingerichtet worden war, und seither brannte Timoteo darauf, sich den Streckapparat, mit dem Frater Silvano gearbeitet hatte, einmal aus der Nähe anzusehen.
    Gebannt lauschte sie dem Dozenten, sie vertiefte sich so sehr in seine Ausführungen, dass sie ihre Umgebung völlig vergaß. Ihr entfiel sogar, dass Timoteo neben ihr saß. Als die Vorlesung endete, bemerkte sie an seinem nachsichtigen Lächeln, dass er sie heimlich beobachtet hatte.
    Nach der theoretischen Abhandlung ging es hinüber zum Teatro Anatomico. Die Sektion wurde von allen mit Aufregung erwartet; allein der Umstand, dass schon am ersten Tag nach den großen Ferien wieder eine Leiche verfügbar war, gab zu allerlei Spekulationen Anlass, von denen Celestina im Vorübergehen die eine oder andere aufschnappte.
    »Sehr merkwürdig, dass es so viele sind dieses Jahr …«
    »… sollte man langsam fragen, warum sich ausgerechnet in Padua all diese Leute umbringen …«
    Professor Fabrizio erschien kurz darauf auf der Schaufläche des Teatro. Er selbst brachte

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