Das Mädchen aus Mantua
über die Sache mit Chiara im Bilde?«
»Meine Stiefschwester und ich haben keine Geheimnisse voreinander.«
»Gut zu wissen.« Er hob die Schultern. »Ich gebe zu, dieser Versuch ist gründlich misslungen. Timoteo und Chiara sind wohl nicht die Richtigen füreinander, obwohl ich geschworen hätte, dass er sie glühend verehrt. Ich übersah dabei, dass junge Burschen in seinem Alter zu echter Liebe noch nicht fähig sind.«
Sie fühlte sich zum Widerspruch berufen. »Woher willst du das so genau wissen? Vielleicht müssen sie nur erst erkennen, wer die Richtige ist!«
Sie spürte den scharfen Blick, den er ihr von der Seite zuwarf, und sie hätte die vorschnelle Bemerkung gern zurückgenommen. Um ihn abzulenken, fragte sie: »Woher kommt dein starkes Interesse, die Fehde zwischen den Familien beizulegen?«
»Vielleicht bin ich dieser Fehde müde«, sagte er, und in diesem Moment sah er wirklich so aus. Sie spürte eine Traurigkeit an ihm, die sie vorher nicht wahrgenommen hatte, doch zugleich auch eine vage Hoffnung, als habe er den Blick auf ein lohnenswertes Ziel gerichtet.
»Woher rührt der Streit eigentlich?«, fragte sie, obwohl sie es inzwischen wusste, da Celestina es ihr erzählt hatte.
»Ich denke, du weißt schon alles darüber, was man sich in der Stadt erzählt«, antwortete Gentile amüsiert.
»Sicher. Aber das ist nur eine Version.« In Wahrheit waren es zwei, denn Celestina hatte ihr auch von Lodovicos Ansicht berichtet, derzufolge Alberto Caliari angeblich selbst seine Frau auf dem Gewissen hatte.
»Weißt du, wie es wirklich war?«, erkundigte sie sich neugierig.
Falls er es wusste, wollte er es ihr offensichtlich nicht mitteilen. »Das alles ist so lange her, wen kümmert das noch«, meinte er leichthin. Er streckte die flache Hand aus. »Ich fürchte, es fängt wieder an zu regnen. Wir sollten den Spaziergang für heute beenden. Aber ich kann jetzt schon sagen, dass ich mich auf den nächsten bereits freue!«
Am nächsten Morgen
Celestina blickte sich unruhig um, doch sie konnte Timoteo unter den übrigen Scholaren nirgends entdecken. Galeazzo nahm den Platz neben ihr ein. »Scheint so, als wäre er heute nicht hier.«
Ihr schwante Böses. Sie hatte Hieronimo mit aller ihr zu Gebote stehenden Scheinheiligkeit gefragt, wie sein Bruder zu seinen Absichten stehe, vor allem, was er von seinem Besuch bei ihr halte, und Hieronimo hatte die Achseln gezuckt und gemeint, er habe Timoteo nichts von diesem Besuch gesagt, also könne der noch nichts davon halten.
Möglicherweise hatte sich diese Wissenslücke inzwischen geschlossen. Überdeutlich hatte Celestina ein Bild vor Augen, auf welchem Timoteo einen Hammer in der Hand hielt, während Hieronimo ihm, nichts Schlimmes ahnend, davon erzählte, dass er mit ihr spazieren gegangen sei.
Das Stimmengewirr im Vorlesungssaal beruhigte sich, denn der Dozent Zirelli betrat den Raum und begrüßte die Studenten. Dann bestieg er ohne Umschweife den Katheder, klemmte sich die Brille vor die kurzsichtigen Augen und trug aus einem Pflanzenkundebuch vor. Celestina erkannte sofort, dass es sich um das Werk handelte, das Frater Silvano ihr geliehen hatte – sie hatte es von vorn bis hinten studiert und musste sich daher nicht auf die Vorlesung konzentrieren. Auch andere schienen den Vortrag langweilig zu finden: Celestina bemerkte, wie sich Baldo zu einem seiner Kumpane beugte und mit ihm tuschelte. Er trug einen Kragen, der es ihm schwer machte, den Kopf zu neigen, hier war ersichtlich der modische Überschwang mit ihm durchgegangen – die Spitzenkrause war so hoch, dass sie bis über die Ohren hinaufreichte, und überdies steif wie ein Brett. Wie konnte er einen derart lächerlichen Putz elegant finden? Das war fast noch schlimmer als der Verdugado, den Chiara sich unter ihr neues Kleid hatte nähen lassen und mit dem sie aussah wie ein rosa Fass. Nun, bald würde sie ohnehin einem Fass ähneln, vielleicht war es nicht allzu verkehrt, dem vorzugreifen. Neuerdings übergab sie sich nicht mehr, sondern aß wie ein Scheunendrescher. Während ihre Mutter kaum etwas bei sich behalten konnte, schaufelte Chiara alles in sich hinein, was sie in die Finger bekam. Sie hatte bereits deutlich zugenommen, bald würde es für jedermann sichtbar werden. Allerdings beugte das Mädchen dem vor, indem es kaum noch das Zimmer verließ – es sei denn, zu den Mahlzeiten.
Der gedankliche Exkurs lenkte Celestina nur für einen Moment von ihren düsteren Überlegungen
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