Das Mädchen aus Mantua
willen?«
»Um zu erfahren, wie es ist. Wie sich ein Mann fühlt, meine ich. Bist du nicht manchmal neugierig auf die Gefühle und Empfindungen des anderen Geschlechts?«
Zu ihrem Erstaunen verfärbte er sich dunkelrot. »Du redest Schwachsinn.«
»Guido, ich schwöre dir, ich tue nichts Schlimmes! Ich weiß, dass auch du deine Geheimnisse hast. Genau wie Chiara. Und Onkel Gentile. Jawohl, auch der. Und ich wette, auch deine Eltern haben ihre Leichen im Keller, irgendwo muss diese Fehde mit den Caliari ja ihren Ursprung haben.«
»Schweig! Diese Dinge gehen dich nichts an!«
»Guido, nun hab dich nicht so. Lass uns doch vernünftig miteinander reden!«
Er holte Luft und riss sich zusammen, was einige Augenblicke dauert. »Wann genau tust du das?«, wollte er dann wissen. »Ich meine, dich verkleiden.«
»Bis jetzt nur nachts.«
»Bis jetzt? Heißt das, du hast vor, es auch tagsüber zu tun?«
Sie nickte zögernd.
»Das glaube ich nicht! Wie kannst du dich schutzlos in solche Gefahr begeben!«
»Ich kann auf mich selbst aufpassen. Genau wie Arcangela. Und wie deine Schwester. Mit der du eigentlich gerade jetzt bei dem Maler Modell sitzen solltest. Ich habe euch zusammen weggehen sehen.«
»Das kann man nicht vergleichen«, begehrte er auf.
»Warum nicht?«
»Darum nicht.«
»Na gut. Dann ist es eben euer Geheimnis. Ich verrate euch nicht, und du verrätst mich nicht. In Ordnung?«
»Hast du keine Angst, entdeckt zu werden?« Diesmal sprach kein Ärger aus seiner Stimme, sondern Neugier.
»Doch«, gab sie zu. »Höllische Angst sogar. Jedes Mal.«
»Und du tust es trotzdem?«
Celestina meinte, etwas wie Anerkennung in seinem Blick wahrzunehmen. Sie zuckte die Achseln. »Manche Dinge muss ein Mensch eben tun, ob sie ihm Angst machen oder nicht. Sonst wird er niemals ans Ziel seiner Wünsche kommen.« Sie deutete auf den Marktstand vor ihnen. »Wolltest du dir nicht ein Mundtuch kaufen?«
»Du bist eine ehrbare junge Witwe«, sagte er, nachdem er sich ein Tuch ausgesucht hatte. »Warum verheiratest du dich nicht wieder? Dann kannst du dein Leben in geordnete Bahnen lenken und denkst dir nicht mehr solchen Unsinn aus.«
Ihr lag auf der Zunge, dass sie keinen Mann brauche, erst recht keinen, der sie am Denken hindere, doch sie verkniff es sich, denn nach Diskussionen stand ihr nicht der Sinn.
Stattdessen versuchte sie, wenigstens den Besuch des Marktes zu genießen. Sie liebte es, an den belebten Ständen vorbeizubummeln. Lärmende Betriebsamkeit erfüllte die Piazza und die angrenzenden Säulengänge. An der Ecke verströmte eine Garküche einladende Gerüche. Der Duft von gegrilltem Fleisch mischte sich mit dem Aroma von Kräutern und Gewürzen. Kindergeschrei hallte von einer anderen Ecke herüber, irgendwo bellte ein Hund. Celestina sog den Duft ein und lauschte dem Marktlärm.
In Mantua war sie gern und oft auf den Markt gegangen. Jacopo hatte auf dem Wochenmarkt zeitweise sogar einen eigenen Stand gehabt, wo er hinter einem Vorhang Abszesse geöffnet und eiternde Augen versorgt hatte. Für schwierigere Fälle hatten sie Handzettel dabeigehabt, auf denen der Weg zu ihrem Haus beschrieben war. Dort stach er den Star, schiente Brüche, nähte Stich- und Schnittwunden und tat auch sonst alles, was die Leute von einem tüchtigen Chirurgen erwarteten. Und manchmal auch ein bisschen mehr.
Dieses Mehr – das war der Grund, warum sie in Padua war. Und sie war entschlossen, es hier zu finden.
Sie hatte den Rand der Piazza erreicht, an dessen Ostseite Il Bo die Bebauung dominierte. So lautete seit über hundert Jahren der liebevolle Spitzname für die Universität von Padua. Er stammte aus jener Zeit, als das Gebäude eine über die Landesgrenzen hinaus bekannte Herberge gewesen war, das berühmte Gasthaus Zum Ochsen . Ein Ruhm, der allerdings mit jenem der Universität, die sich nun in diesen Mauern befand, nicht mithalten konnte. Auf der ganzen Welt gab es kaum eine Bildungsstätte, die bekannter und gefragter gewesen wäre als die Universität von Padua.
Als hätten ihre Füße einen eigenen Willen, ging sie weiter, bis sie vor dem großen Portal des Palazzo Bo stand. Nur am Rande bemerkte sie, dass Guido nicht mehr an ihrer Seite war. Sie hatte ihn aus den Augen verloren. Oder er sie. Doch wen kümmerte es.
Sie starrte das schmucke Gebäude mit den vorgebauten Arkaden und den großen Fenstern an. Erst vor Kurzem waren die Erneuerungsarbeiten an der Fassade abgeschlossen worden. Dahinter
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