Das Mädchen aus Mantua
ob er sich nicht vor seinem nächsten Zweikampf mit den Caliari fürchte. Das Wort Zweikampf hatte sie dabei auf besondere Weise betont, sodass kein Zweifel bestand, worauf sie hinauswollte. Er hatte nicht mit dem üblichen Grinsen reagiert, sondern war blass geworden und hatte sich wortlos zurückgezogen. Seither bestand zwischen ihnen eine stumme Übereinkunft. Von ihm würde keiner erfahren, wie oft sie ohne Begleitung das Haus verließ. Nicht, dass es sonst jemanden aus der Familie interessiert hätte, was sie unternahm. Marta war vollauf damit beschäftigt, an ihren diversen Krankheiten zu leiden, und Lodovico pusselte die meiste Zeit im Garten herum. Gelegentlich gingen die beiden aus, meist einzeln, seltener gemeinsam, wenn sie zu Empfängen oder anderen Festlichkeiten bei den Honoratioren der Stadt eingeladen waren. Doch ob sie nun daheim waren oder nicht – es war ihnen herzlich gleichgültig, was die übrigen Bewohner des Hauses taten. Nicht einmal der Verbleib ihrer eigenen Sprösslinge schien sie sonderlich zu interessieren. Sofern Marta überhaupt auf jemandes Gesellschaft Wert legte, dann bestenfalls auf Celestinas, was wiederum nicht einer besonderen verwandtschaftlichen Zuneigung entsprang, sondern allein der Notwendigkeit regelmäßiger Einläufe und Warzenbehandlungen.
Die alte Immaculata überwachte diese Behandlungen, niemals um bissige und schadenfrohe Kommentare verlegen, was ihr eine Art widerwillige Bewunderung von Arcangela eintrug. Sie mochte es, wenn Leute anderen offen ihre Meinung ins Gesicht sagten. Allerdings grenzte diese Offenheit allzu oft an Boshaftigkeit, und auch der Argwohn der Alten war lästig; so entging ihr selten, wenn die Treppe schlecht geputzt war oder die Bettwäsche unzureichend geplättet. Davon abgesehen konzentrierte sie sich vornehmlich auf Marta, weil sonst niemand mit ihr zu tun haben wollte. Guido und Chiara bemühten sich, der Alten aus dem Weg zu gehen, ebenso wie Lodovico. Anscheinend fürchteten alle ihre scharfe Zunge.
Arcangela kam es manchmal so vor, als warte Immaculata auf ein besonderes Ereignis. Ihre dunklen Vogelaugen schienen ein Wissen über kommende Geschehnisse zu verbergen, als hätte sie eine geheime Verbindung in die Zukunft. Arcangela fand das im höchsten Maße irritierend und achtete darauf, bei Tisch immer möglichst weit von ihr entfernt zu sitzen.
Die Cappella degli Scrovegni lag ein wenig abseits vom belebteren Stadtkern, unweit von einem alten Eremitenkloster. Der Kirchplatz war umgeben von Büschen und Bäumen, was dem alten Backsteingemäuer einen verwunschenen Anstrich verlieh. Arcangela mochte die Kirche, sie ging hier zur Beichte und besuchte die Sonntagsmessen, im Gegensatz zu Celestina, die mit den übrigen Familienmitgliedern regelmäßig in San Nicolo zur Kirche ging.
Die Scrovegni-Kapelle wies gegenüber den anderen Kirchen einen für Arcangela entscheidenden Vorteil auf: Von hier aus war ihr eigentliches Ziel nicht weit entfernt. Nur ein kleiner Spaziergang über eine Brücke hinaus aus der Stadt, wo in einem verschwiegenen Häuschen ihr Liebhaber auf sie wartete. Oft brach sie schon eine Weile vor der vereinbarten Zeit auf, dann konnte sie gleichsam das Notwendige mit dem Angenehmen verbinden: Bevor sie sich mit Vitale traf, konnte sie rasch zur Beichte gehen. Natürlich wäre es sinnvoller für ihr Seelenheil gewesen, hinterher zu beichten, doch dann befand sie sich in zu großem innerem Aufruhr. Sie zog es vor, ihre Sünden im Zustand der Gelassenheit zu beichten. Außerdem hegte sie die Befürchtung, man könne womöglich riechen, dass sie sich gerade mit einem Liebhaber im Bett gewälzt hatte. Ihr Beichtvater hatte eine feine Nase, neulich hatte er sogar wissen wollen, ob sie nach Tuberosen roch oder nach Jasmin. Es war ein Mischung aus beidem gewesen – das Parfüm hatte Vitale ihr geschenkt –, ein Grund mehr, Vorsicht walten zu lassen.
Als Beichtvater war Pater Domenico allgemein beliebt, was an seiner Schwerhörigkeit lag. Mochte sein Geruchssinn auch herausragend sein, so galt für sein Gehör das Gegenteil: Er war so gut wie taub. Das hielt ihn jedoch nicht davon ab, mit großem Ernst und sehr aufmerksam zuzuhören, wenn seine Schäfchen ihre Sünden vor ihm ausbreiteten. Die von ihm auferlegten Bußen waren jedoch immer die gleichen, unabhängig von der Schwere der gebeichteten Vergehen. Und jeder Sünder, der zu ihm kam, konnte anschließend sicher sein, dass seine Geheimnisse nirgends so sicher waren
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