Das Mädchen aus Mantua
geträumt!«
Celestina hatte mit dem Weinen aufgehört. Sie atmete tief durch. »Es geht mir gut. Geh nur und sag Tante Marta Bescheid, dass mir nichts fehlt.«
Die Magd zog sich zurück.
»Ich hatte solche Angst«, flüsterte Celestina an der Schulter ihrer Schwester. »Und ich war so allein!«
»Du bist nicht allein. Du hast mich.«
»Ich hätte das Kind so gern gesehen.« Das war das erste Mal, dass sie davon sprach.
»Du warst ohnmächtig, Liebes.«
»Aber du hast es dir angesehen, oder?«
Arcangela schwieg, doch Celestina wiederholte die Frage. »Du hast es gesehen, oder? Wie sah es aus?«
»Es war kein schöner Anblick«, sagte Arcangela unumwunden.
»Wie sah es aus? War es missgebildet?«
»Nein«, sagte Arcangela überrascht. »Wie kommst du darauf? Es war ganz einfach … tot. Ein winziges Geschöpf, viel zu klein um zu leben.« Sie hielt kurz inne. »Es war ein Mädchen. Und sie ist jetzt bei ihrem Vater im Himmel.«
Celestina holte zitternd Luft. »Wenn ich nur vorsichtiger gewesen wäre … Mehr über alles gewusst hätte …«
»Hör auf, dir Vorwürfe zu machen«, befahl Arcangela ihr. »Du kannst nichts dafür. Außerdem hast du ja nichts getan, weder hart gearbeitet noch dich sonst wie angestrengt. Alles medizinische Wissen hätte es nicht verhindert. Du bist nicht schuld! Es ist ganz einfach passiert. Die Hebamme hat gesagt, dass es ständig vorkommt. Du kannst von Glück sagen, dass du es überlebt hast. Außerdem sagte sie, du kannst jederzeit andere Kinder haben.« Arcangela unterbrach sich. »Was ich, nebenbei bemerkt, gar nicht so dumm fände. Ein Kind würde dir guttun! Natürlich müsstest du dir vorher einen Mann zulegen. Du solltest wirklich bald wieder Ausschau halten, weißt du! Auch wenn du denkst, dass niemand Jacopo das Wasser reichen kann. Ich gebe zu, er war ein wirklich feiner Mensch, gut erzogen, immer freundlich, humorvoll und ein hervorragender Arzt. Allerdings gibt es auch viele andere Dinge an einem Mann, die eine Frau begeistern können.«
»Davon bin ich überzeugt«, sagte Celestina mit schwacher Belustigung. Der Albdruck hatte sich vollends verflüchtigt. Arcangelas wasserfallartiges Geplapper war das beste Heilmittel gegen die schmerzhaften Erinnerungen.
»Soll ich heute Nacht bei dir bleiben?«
Celestina nickte stumm. In schwesterlicher Umarmung schliefen sie ein. Die Träume kamen in dieser Nacht nicht zurück.
Am nächsten Morgen war ihr so übel vor Aufregung, dass sie um ein Haar ihre Entscheidung umgestoßen hätte. Ein ums andere Mal prüfte sie die Sachen, die sie mitnehmen wollte. Allzu viel an Männerkleidung besaß sie nicht, nur die wichtigsten Stücke in doppelter Ausführung, damit sie zwischendurch etwas waschen konnte oder Ersatz zur Hand war, wenn etwas geflickt werden musste.
Bereits am Vortag hatte sie alles in einem Beutel verstaut und diesen bereitgelegt, doch nun holte sie alles mehrmals der Reihe nach wieder hervor, legte Stück für Stück nebeneinander aufs Bett und betrachtete es. Die unvermeidliche Leinenbinde für ihre Brust. Eine saubere, weit geschnittene Weste aus dunklem Tuch, vorn mit hölzernen Knebeln zu schließen. Ein schmuckloses Baumwollhemd. Schlichte braune Beinkleider, Strümpfe aus Leinen. Einfache Schuhe aus grob genähtem Leder. Die weiche Kappe, die über die Ohren reichte und bei Bedarf tief in die Stirn gezogen werden konnte, aber auch nicht so voluminös war, dass man sie in geschlossenen Räumen hätte abnehmen müssen.
Sie hatte die Studenten in den letzten Wochen sehr genau beobachtet. Sobald ihr einer begegnete, hatte sie ihn studiert, seine Bewegungen, sein Auftreten, seine Kleidung. Unter den Studenten gab es viele Stutzer, die formvollendet nach der spanischen Mode gekleidet waren, mit steifen, hoch geformten Baretten, breiten Halskrausen, Wämsern, die in den Schultern ausgestopft waren und in der Taille schmal, gepolsterte oder gebauschte Beinkleider und feinseidene Strümpfe zu eleganten Schnallenschuhen. Entsprechend gestelzt war oft ihr Gehabe.
Andere, vor allem jene, denen das Geld nicht so locker saß wie ihren betuchteren Kommilitonen, bevorzugten bequemere Gewandung. Zu ihnen gehörten auch Timoteo Caliari, Galeazzo da Ponte und der Engländer William Harvey. Sie kleideten sich zwar modisch, aber zugleich zweckmäßig und ohne übertriebenen Prunk. Genau so hätte Celestina es gern gemacht, denn das waren die Studenten, die am wenigsten auffielen. Ihr fehlten jedoch die Mittel für eine
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