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Das Mädchen aus Mantua

Das Mädchen aus Mantua

Titel: Das Mädchen aus Mantua Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte Thomas
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stehen und presste die Hand auf ihr jagendes Herz. Noch konnte sie von hier verschwinden und den ganzen Plan begraben! Wenn sie jedoch die Pforte durchschritt, würde unweigerlich ein Abenteuer beginnen, von dessen Ablauf und Ausgang sie nicht das Mindeste wusste.
    Außer, dass es gefährlich war.
    Der Moment des Zauderns verging. Die Glocken schlugen zur vollen Stunde. Mit einem entschlossenen Atemzug bog sie die Schultern durch und schritt zum Tor.



Teil II

Padua, Ende Juni 1601
    Frater Silvano erwartete sie bereits unter dem Torbogen. Er nickte ihr zu und bedeutete ihr wortlos, ihm zu folgen. Sie betraten das Gebäude durch einen Hintereingang. Der Mönch führte Celestina durch einen schmalen Gang und öffnete dann mit einem Schlüssel die Tür zu einem dämmerigen Gemach. Es roch muffig nach verstaubtem Papier. An den Wänden gab es Regale mit zahlreichen gestapelten Folianten, auf einem Pult lagen Schreibzeug und Papier.
    »Das Archiv der Hospitalverwaltung«, sagte der Mönch. »Außer mir verirrt sich kaum jemand hierher.« Er reichte ihr die Kerze. »Ihr könnt Euch ungestört umkleiden. Eure Sachen könnt Ihr an beliebiger Stelle deponieren. Ich warte so lange im Gang.«
    Während sie sich umzog, wurde sie erneut von Zweifeln geplagt. Was tat sie hier überhaupt? War sie verrückt geworden? Wie hatte sie nur auf den hirnrissigen Gedanken kommen können, sich diese verbotene Welt erobern zu wollen? Wenn ihre Verkleidung aufflog, hätte sie nichts zu lachen. Das Wenigste war, dass man sie für ein paar Monate oder sogar Jahre ins Gefängnis warf, weil sie in betrügerischer Weise gegen die guten Sitten und die öffentliche Ordnung verstoßen hatte. Vielleicht würde man sie zur schimpflichen Bestrafung sogar an den Pranger stellen. Ihre hiesigen Verwandten taugten nicht unbedingt als Fürsprecher, die Bertolucci hatten wegen ihrer Dauerfehde mit den Caliari bei den Stadtoberen keinen besonders guten Stand.
    Womöglich bekam sie auch Ärger mit der Inquisition, die rasch mit Blasphemievorwürfen bei der Hand war. Wissenschaftliche Argumente ließ man nicht gelten. Erst vor einem Jahr war ein berühmter Dozent, der in Padua Mathematik gelehrt hatte, wegen Ketzerei und Magie auf dem Scheiterhaufen verbrannt worden, weil er an seiner Behauptung festhielt, das Universum sei unendlich. Es hieß, man habe ihm sogar die Zunge festgebunden, damit er vor der Hinrichtung keine ketzerischen Reden mehr verbreiten konnte.
    Während Celestina das Wams anlegte und die Kappe über ihr sorgfältig zurückgebundenes Haar stülpte, versuchte sie, alle Gedanken an sengende Flammen und festgebundene Zungen zu verdrängen. Stattdessen hielt sie sich vor Augen, welches Glück sie gehabt hatte, auf Frater Silvano zu treffen.
    Er hatte zwar ihren Plan aufgedeckt, ihr aber zugleich eine Möglichkeit geboten, genau diesen Plan zu verwirklichen.
    Sie musste ihm nur Bericht erstatten über alles, was in der Anatomie geschah.
    »Alles, was gesagt und getan wird. Jede Einzelheit muss scharf beobachtet werden, egal wie unwichtig und nebensächlich sie erscheint, vor allem die Leichen betreffend.«
    Es hatte sich unheimlich angehört, als er im dunklen Teatro Anatomico auf diese Weise zu ihr gesprochen hatte, ein kalter Schauer war ihr über den Rücken gelaufen.
    Seine Gründe waren ihr indessen einleuchtend erschienen. In den letzten Wochen seien in der Stadt mehrere durchziehende Reisende unter ungeklärten Umständen gestorben und zur Anatomie gebracht worden. Alle seien kurz zuvor Patienten im Klosterhospital gewesen. Auch der Mann, der gerade nebenan auf dem Leichentisch liege.
    »Wie Ihr habe ich mich heute Nacht hier eingeschlichen«, hatte er Celestina mitgeteilt. »Nur mit anderer Absicht. Ich wollte nachsehen, wer der Tote ist. Versteht Ihr nun, warum unsere Pläne gut zusammenpassen? Ich muss erfahren, warum diese Menschen gestorben und hier gelandet sind! Ihr werdet mir dabei helfen, indem Ihr auf alle Begebenheiten achtet und mir darüber berichtet.«
    Im Gegenzug hatte er ihr versprochen, ihr schnellstmöglich eine Gelegenheit zu einer unbürokratischen Immatrikulation zu verschaffen. Und zwar, wie er betonte, nicht in der Anfängerklasse, sondern bei den Fortgeschrittenen, möglichst sogar den angehenden Doktoranden. Die Statuten der Universität sahen für Scholaren mit Vorkenntnissen die Möglichkeit verkürzter Studienzeiten vor, es sei nur vernünftig, davon Gebrauch zu machen.
    Bevor sich ihre Wege in dieser Nacht

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