Das Mädchen aus Mantua
über die Selbstmörder weißt.«
In der folgenden Nacht
Der Arzt beugte sich über die Gebärende und tastete ihren Leib ab. Sein Gesicht war ernst, die Hände blutbeschmiert, so wie die Schenkel der Frau.
»Es sieht schlecht aus«, sagte er zu der Hebamme, die ihn gerufen hatte. »Wenn es uns nicht gelingt, das Kind zu holen, stirbt die Frau.« Er musterte ihr Gesicht. »Sie ist noch so jung, fast selbst ein Kind! Hat sie keinen Mann, der ihr beistehen kann?«
»Sie ist neunzehn und wurde kürzlich Witwe. Ihr Mann war selbst Arzt. Jacopo Ruzzini hieß er. Deshalb ließ ich Euch rufen. Sie wollte einen Arzt. Einen richtigen Arzt, so wie er einer war.«
»Ich bin nur ein einfacher Chirurg und Wundarzt«, sagte der Arzt.
»Wen kümmert das.«
»Ihr Mann hätte ihr auch nicht helfen können«, sagte der Arzt. »Ist besser, dass er schon tot ist, so bleibt ihm das Leid erspart.«
Das bleiche, vor Schmerzen verzerrte Gesicht der jungen Frau schien zu zerfließen, die Konturen ihres Köpers sich aufzulösen, und plötzlich verschob sich die Perspektive. Der Blick des Betrachters glitt in die Frau hinein, bis er dort gefangen war und sich nur noch nach außen richten konnte.
Alles war wieder zurechtgerückt, so wie es richtig war. Sie war wieder in ihrem eigenen Körper, statt ihn von außen zu betrachten. Sie selbst war die Frau, die dort lag und verblutete.
Sofort kamen andere Empfindungen hinzu. Reißender Schmerz, der sie in der Mitte entzweizuspalten drohte. Das Gefühl des fließenden Blutes, das im Rhythmus ihres Herzschlags aus ihr herauszuströmen schien. Die Angst vor dem nahenden Tod.
»Jacopo!«, stöhnte sie.
Doch er war nicht da. Er hatte sie verlassen, genau wie das Kind, das sich seit Tagen nicht mehr in ihrem Leib bewegt hatte. Es war seinem Vater in eine andere Welt gefolgt.
Sie hatte es zuerst nicht wahrhaben wollen, sich eingeredet, es schliefe einfach nur lange oder sei zu faul, sich zu rühren. Als sie endlich der Wahrheit ins Auge blickte und die Hebamme aufsuchte, tat sie dies in dem Wissen, dass sich mit dem, was ihr bevorstand, auf unerklärliche Weise ihr Schicksal erfüllen würde.
»Das Kind ist tot«, sagte die Hebamme, nachdem sie mindestens eine Stunde lang gedrückt und getastet und mit beiden Händen, die sie zu einem Rohr geformt aneinandergelegt hatte, den Leib abgehorcht hatte. »Ihr könnt entweder warten, bis es von allein kommt, oder einen Sud trinken, den ich Euch mitgebe und der Euch die Wehen bringt.«
Celestina hatte gewartet, denn auch ohne den Sud setzten Wehen ein und bald darauf die Blutungen.
Draußen hörte sie Arcangela weinen, die unbedingt hatte helfen wollen und dann beim Anblick des Blutes ohnmächtig geworden war.
»Wir müssen sie aufrichten«, sagte die Hebamme. »Ihr müsst zweierlei tun – sie halten und von oben gegen den Bauch drücken, aber erst dann, wenn ich es sage. Es muss während der nächsten Wehe sein, sonst nützt es nichts.«
»Und was tut Ihr?«
»Ich werde hineingreifen und ziehen.«
»Wollt Ihr das wirklich tun? Die Frau wird ohnehin sterben! Seht doch, wie sie blutet!«
»Tot ist sie erst, wenn sie tot ist«, sagte die Hebamme pragmatisch. »Nun tut schon, was ich sage.«
Der Arzt packte sie und hob sie an. Seine Hände drückten hart gegen ihren Leib, und dann löste sich die Welt in einem roten Wirbel des Schmerzes auf.
Sie schrie auf und kam zu sich, als Arcangelas Stimme an ihr Ohr drang. »Du bist in Sicherheit! Es ist alles vorbei! Dir kann nichts geschehen!« Die Arme ihrer Stiefschwester hielten sie fest umfangen und wiegten sie. Arcangela war zu ihr ins Bett gestiegen und drückte sie tröstend an sich, bis die Wirklichkeit den Albtraum endgültig ablöste.
Auch der Schmerz hatte sich verflüchtigt, doch die inneren Qualen blieben. Celestina schluchzte haltlos, völlig außer sich von dem, was eben noch so fassbar erschienen war. Sie träumte nicht mehr häufig von der Totgeburt, oft lagen viele Wochen dazwischen, doch wenn es geschah, war es immer noch so schrecklich wie damals in der Realität. – Gefühle von Verlust und Einsamkeit hielten sie gefangen, es war schwer, wieder hinauszufinden.
»Schsch«, murmelte Arcangela. »Alles wird gut!«
Es klopfte kurz an der Tür, und im Licht einer Kerze schob eine der Mägde den Kopf ins Zimmer. »Schrie hier jemand? Die Herrin hat nach mir geläutet und mich hergeschickt. Kann ich helfen?«
»Es ist alles in Ordnung, meine Schwester hat nur schlecht
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