Das Mädchen aus Mantua
Pfleger, überwiegend Nonnen und Mönche im Habit der Franziskaner, kümmerten sich um die Patienten, wechselten Verbände, halfen den Kranken auf den Nachtstuhl oder fütterten die Hilflosen.
Fast alle Betten waren belegt, mit Männern wie Frauen, vereinzelt auch Kindern. Beim Nähertreten war zu sehen, dass viele von ihnen schliefen. Manche schienen Schmerzen zu leiden, sie stöhnten vor sich hin. Eines der Kinder wimmerte leise. Als es den Mönch sah, schluchzte es auf. Silvano ging zu ihm, und Celestina folgte ihm.
»Ist es wieder schlimmer geworden, Ricardo?«, fragte der Mönch den kleinen Jungen. Das Kind war in ein Krankenhemd gekleidet und mochte fünf oder sechs Jahre alt sein. Sein Gesicht war bleich und verkniffen vor Schmerz.
Der Mönch winkte einer der Nonnen.
» Suora , Ricardo braucht noch etwas Mohnsaft.«
»Ich habe ihm schon vor einer Stunde etwas davon eingeflößt.«
»Er braucht mehr. Und zwar sofort.«
Die Nonne zog zweifelnd die Brauen hoch, ihr schien der Sinn dieser Anordnung nicht recht einzuleuchten. Ihrer Miene war anzusehen, was sie dachte: Der Junge wird sowieso bald sterben, wozu das teure Mittel verschwenden?
»Ich gehe es gleich holen«, sagte sie. Ihr fragender Blick traf Celestina.
»Suora Deodata, das ist Marino da Rapallo, ein Chirurg aus Padua«, sagte der Mönch. »Er wird heute mit einer neuartigen Methode den Blasensteinpatienten operieren.«
»Er sieht sehr jung aus«, sagte die Nonne.
»Das täuscht«, sagte Celestina. »Ich werde bald achtzehn und habe meine Lehrzeit schon im vorigen Jahr beendet.«
Abermals zog Deodata die Brauen hoch. Ihr rundliches, von dem Kopfschleier umrahmtes Gesicht zeigte einen undurchdringlichen Ausdruck. Sie war etwa Anfang dreißig und sah aus, als hätte sie noch nie im Leben gelacht.
Der Mönch wandte sich dem kranken Jungen zu.
»Die Schwester lässt dich gleich von dem bitteren Saft trinken, du kennst das ja schon. Davon gehen die Schmerzen weg.«
Der Junge nickte schwach. Sein Weinen war abgeebbt, aber nicht, weil er nun beruhigt war, sondern weil sein Bewusstsein sich wieder trübte. Celestina hatte schon häufig Kinder in diesem Zustand gesehen. Niemand konnte ihnen helfen. Hohes Fieber fraß sie von innen her auf, es blähte ihre Bäuche, bis sie hart wie Stein waren und jede Berührung unermessliche Schmerzen hervorrief. Mit heftigem Leibweh fing es an, bis am Ende unweigerlich der Tod eintrat. Meist traf es Kinder. Erwachsene wurden nur selten davon befallen. Helfen konnte man jedoch beiden nicht.
»Ihr wisst, wie es um den Knaben steht?«, fragte der Mönch Celestina, während er weiterging.
Sie nickte bedrückt.
Der Mönch blieb beim nächsten Bett stehen. Eine Frau lag dort und schlief, der Leib stark gewölbt von der fortgeschrittenen Schwangerschaft. Ihr Alter war nicht auf Anhieb zu bestimmen, da ihr Gesicht von Schlägen gezeichnet war. Eine Braue war aufgeplatzt und vernäht, Nase und Lippen grotesk geschwollen.
Frater Silvano betrachtete die schlafende Schwangere.
»Sie wurde vor der Stadtmauer gefunden«, sagte er, einen Ausdruck von Zorn und Mitgefühl im Gesicht.
»Wer hat sie so zugerichtet?«, wollte Celestina wissen.
Der Mönch hob die Schultern. »Man weiß es nicht. Wer immer es getan hat, er ließ sich nicht erwischen. Die Frau wurde von einem Ordnungshüter befragt, aber sie sagt, sie könne sich nicht erinnern. Angehörige hat sie nicht, sie ist fremd hier.«
»Woher kommt sie?«
»Auch das ist nicht bekannt. Sie weiß nicht einmal ihren Namen. Wir haben sie hier aufgenommen, weil die Geburt unmittelbar bevorsteht. Heute oder morgen, länger kann es nicht dauern, bis die Wehen einsetzen. Sie hat bereits ihr Fruchtwasser verloren.«
Sie gingen zum nächsten Bett, wo ein Mann lag, dem die linke Hand bis zur Hälfte des Unterarms amputiert worden war. Er war in mittleren Jahren und ziemlich ausgemergelt. Sein Gesicht war blass und spitz, seine Züge gequält.
»Wie geht es heute?«, fragte der Mönch ihn.
»Ich habe Schmerzen, Frater. Kann ich von dem Mohnsaft bekommen?«
»Ihr müsst lernen, ohne das Mittel auszukommen.«
Die Glocken läuteten zur vollen Stunde.
»Gleich sind sie hier«, sagte Silvano. Er warf Celestina einen prüfenden Blick zu, als wolle er sich vergewissern, dass ihre Verkleidung genauerer Prüfung standhielt. »Kommt mit!«
Er führte sie zu einem Bett am Ende der Reihe. Dort lag ein Mann in mittleren Jahren. Das tiefrote Gesicht und der feiste Körper kündeten von
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