Das Mädchen-Buch
lieber die Mädchen«, analysiert Schulpsychologe Detlef Berg. Das hat mit den Mädchen nichts zu tun, aber sie profitieren davon.
Und Schüler bestätigen das:
»Die Lehrerinnen halten immer zu den Mädchen, immer. Die Mädchen sagen sogar selbst, dass sie bevorzugt werden, aber sie können natürlich nichts dafür.« 46
EMIL, 13 JAHRE
Das erfahren auch Grundschullehrerinnen:
»Ich kann mich an eine Situation erinnern, da haben mir Jungs mal gesagt, ich würde die Mädchen bevorzugen, ich würde sie öfter drannehmen. Da bin ich wirklich in mich gegangen und hab gedacht: ›Da muss ich mich dann doch mehr kontrollieren.‹« | 104 |
NORA SIEDLER, GRUNDSCHULLEHRERIN
Nicht nur manchen Lehrerinnen sagen Schüler und Schülerinnen nach, dass sie Mädchen bevorzugen, mit männlichen Lehrern empfinden es Jungs nicht anders. Sie fühlen sich qua Geschlecht im Nachteil.
»Mädchen sind schulklüger«, ist das Fazit, das Detlef Berg, ehemals Professor für Schulpsychologie in Bamberg zieht. Darin liegt ein Zwiespalt: Sie packen, was gefordert ist, sie können sich anpassen, sie sind fleißig, sie halten dem Schuldruck stand, ohne zu murren, aber: Sind sie auch kreativ, eigenständig, unabhängig, selbstbestimmt? »Schulklug« zu sein scheint das Gegenteil von lebensklug … zumindest, wenn es um das Ansehen der »guten« Mädchen geht. Dann nennt man sie schneller »ehrgeizig« oder »fleißig« als »begabt« und »kreativ«.
Die 11-jährige Lisa ist ziemlich gut in der weiterführenden Schule, sie erhält bessere Noten als in der Grundschule. Einser und Zweier schmücken ihr Zeugnis und sie ist stolz darauf – eigentlich. Die Mutter ihrer Klassenkameradin Sina hat davon gehört, dass Lisa gut ist und besser als ihre Tochter zuweilen, in Noten gerechnet jedenfalls. Sie spricht mit Lisas Mutter darüber und sagt: »Die Lisa ist ja ziemlich ehrgeizig … Sina ist auch nicht schlecht, aber sie lernt nicht, die macht das so mit links.«
Ehrgeiz und Fleiß sind keine »coolen« Kompetenzen. Die muss man eher verstecken. Mädchen bekommen sie häufig angehängt, wenn sie engagiert für die Schule lernen. Der Subtext lautet: Sie ist nicht intelligent, sie ist eine Arbeitsbiene – langweilig, unkreativ, unlocker.
Trotz guter Schulnoten haben Mädchen häufig nicht das Gefühl, dass sie wirklich gut sind. In Untersuchungen zeigt sich, dass sie selbst ihre Leistungsfähigkeit schlechter einschätzen, als Jungen das tun. 47 Und, wenn ihnen etwas nicht so gut gelingt, neigen sie sehr viel eher dazu, sich selbst die Schuld zu | 105 | geben, ihre fehlende Kompetenz dafür verantwortlich zu machen, als äußere Umstände. »Mir ist die Arbeit nicht gelungen, ich kann einfach nicht rechnen«, wäre eher ein Mädchensatz, als: »Die Arbeit ist schlecht ausgefallen, der Lehrer stellt einfach Aufgaben, die nicht wirklich im vorbereitenden Unterricht vorgekommen sind.« Jungs würden eher so antworten und damit schützen sie ihr Selbstwertgefühl.
Coach
Was erwarten wir von unseren Töchtern? Unsere Erwartung bestimmt unser Verhalten und das wiederum »saugen« die Mädchen auf. Wenn wir erwarten, dass sie in Mathe sowieso schlecht abschneiden, werden wir sie auch nicht anspornen, ihnen nicht das Gefühl geben: »Du bist gut in Mathe, du packst das.« Mit welchem Gefühl gehen sie dann in die Arbeit? Der Schulpsychologe Berg verweist auf Untersuchungen, in denen gezielt die Erwartungshaltung an Mädchen in Bezug auf Mathe geändert wurde. Das Ergebnis: »Die Mädchen wurden besser in Mathe.« 48
Wenn es nicht gut läuft
… kann das vielfältige Gründe haben. Ist meine Tochter überfordert mit dem Stoff? Oder ist sie überfordert mit der schulischen Situation? Gibt es Lehrerinnen oder Lehrer, mit denen die Chemie überhaupt nicht stimmt? Ist sie in die Klassengemeinschaft eingebunden, steht sie allein da? Hat sie Sorgen zu Hause? Gibt es Streit zwischen den Eltern oder zwischen ihnen?
Schlechte Schulnoten sind kein Beinbruch: Im Gegenteil, sie zeigen uns möglicherweise, dass es gute Gründe dafür gibt, | 106 | nicht gut zu sein, und dass wir als Eltern vielleicht auf andere Bereiche als die Schule gucken müssen. »Bei einer Fünf gibt es ein Eis und bei einer Sechs gehen wir zusammen ins Café Kuchen essen«, hat meine Mutter uns versprochen, als wir in der Schule waren. Ich hab es einmal ausprobiert. Eine Sechs in Französisch bescherte mir einen wunderbaren Nachmittag mit meiner Mutter im »Stadtcafé«. Ich durfte mir
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