Das Mädchen-Buch
Möglichkeiten vor sich haben.« 110
Ein Mädchen aus unserer Mädchengruppe formulierte ihre Träume so: »Ich wünsche mir ein großes Haus, einen treuen | 244 | Ehemann, keine Kinder. Ich möchte Gerichtsmedizinerin werden und einen Doktortitel haben. Ansonsten möchte ich meine Freiheit, das Leben genießen und meine Freunde behalten.«
Eine andere sagte: »Ich wünsche mir ein großes Haus, ein cooles Auto, einen Job, Abitur, eine Weltreise, einen großen schönen Garten, einen Pool hinterm Haus, Freunde, Familie und einen Hund.« Aber es gibt auch junge Frauen wie Franka, die ihre Ziele so formulieren:
»Ich möchte etwas erreichen, für das es sich zu leben lohnt. Ich möchte am Ende meines Lebens zurückblicken und sehen, dass ich auch für die nachfolgenden Generationen etwas erreicht habe. Ich möchte etwas Sinnvolles hinterlassen, einen erfüllenden Beruf ausüben, eine Familie gründen und Kinder haben.«
FRANKA, 18 JAHRE
Die Frage ist: Wie geht das? Wie können Mädchen für sich sicher werden und sich gleichzeitig entwickeln? Wie können sie ihren Weg finden? Dazu habe ich den Vorschlag einer 16-jährigen Schülerin gelesen, der fast weise klingt. Sie findet: »dass man erst das Naheliegende gut macht, bevor man nach den Sternen greift.« 111
Tipp meines Onkels Fritz – dem Mann von Tante Josi
»Wenn du dich für einen Beruf entscheidest, dann entscheide dich für etwas, das du gerne machst. Nur wenn du etwas gerne machst, kannst du auch wirklich gut darin sein.« | 245 |
Übergangsrituale
Mottowoche, so heißt in manchen Städten die letzte Schulwoche, bevor Abiturienten drei Wochen Zeit haben, um sich auf die Abiturprüfungen vorzubereiten. In der Mottowoche geht man jeden Tag in einem anderen Kostüm in die Schule, als Erstklässler, als »Asi« oder als das jeweils andere Geschlecht und bereitet den Abi-Gag vor. Abends wird die Schule bewacht. Dann besuchen sich die Abiturientinnen und Abiturienten der verschiedenen Schulen und »kämpfen« gegeneinander. Sie beschießen sich mit Wasserpistolen und Wasserbomben. Ein Spiel, das Spaß machen soll. Einige wenige Jugendliche schlagen bei diesen Spielen über die Stränge. Sie schießen nicht nur mit Wasserpistolen, sondern werfen Farbbeutel, beschmieren Schuleingänge mit Kot, zünden Böller und werfen sie in die »gegnerische« Menge. Kein Spaß mehr. »Übergangsrituale ins Erwachsenenleben« nennt es die Kulturanthropologin Gabriele Dafft. 112 Bis 2006 leitete sie ein Projekt zur Abitur-Kultur. Als meine Tochter jetzt Abi-Gag hatte, ist es auch eskaliert. Sie fuhr zur Schule um »ihre« Schule zu verteidigen. 500 Schüler anderer Schulen hatten sich verabredet, um gegen ihre Schule zu »kämpfen«.
Es provoziert die Menschen, dass die jungen Erwachsenen so über die Stränge schlagen. Viele Leute, die offensichtlich selber wenig Spielraum hatten, sich in ihrer Jugendzeit ausgelassen zu verhalten, haben überhaupt kein Verständnis für dieses Ritual, das eben auch mit einem Blick zurück, in die Zeit, als man noch nicht erwachsen war, verbunden ist. Die Kulturanthropologin Dagmar Hänel weiß, dass diese Rituale deshalb heute bedeutsamer sind als noch vor zwanzig Jahren, weil die Unsicherheit zugenommen hat. »Die Rituale rund ums Abitur haben ganz viel mit der Herstellung von Wir-Gefühl zu tun. Die Abiturienten schließen sich zusammen, obwohl eigentlich Zeit ist, sich zu trennen.« Gleichzeitig soll gezeigt werden, dass man es geschafft hat. Eine Grenzüberschreitung gehört zu ei | 246 | nem Ritual dazu. Das bedeutet: »Die Gefahr dass es kippt, ist bei solchen Gratwanderungen immer dabei.« 113 Riten und Rituale sorgen für Orientierung und stellen sicher, dass Übergänge Kontur erhalten.
Initiationsrituale
Mädchen der Luvale, einem Bantu-Volk im Nordwesten Sambias, durchlaufen eine 6 bis 9 Monate andauernde Initiationsphase. In dieser Zeit werden sie von ihrem Dorf getrennt und sie dürfen nicht sprechen. Sie lernen tanzen auf dem Dorfplatz und sie lernen intime Tänze, die sie auf ihr zukünftiges Geschlechtsleben vorbereiten sollen. Sie erfahren etwas über die Heilkräfte von Pflanzen und Bäumen. Sie lernen, Geschichten spannend zu erzählen und in Ruhe und Geduld hart zu arbeiten. So sollen sie einerseits in die Gruppe der Frauen integriert werden und andererseits auf ihr Leben als Frau eines Mannes und als Mutter vorbereitet werden. Haben sie die notwendige Reife erreicht, wird ein großes Fest gefeiert.
Im Unterschied zu
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