Das Mädchen, das den Himmel berührte: Roman (German Edition)
fragt er überall nach mir. Er bittet die Leute, mich zu suchen, weil er etwas von Euch möchte. Also, das heißt, eigentlich sucht er Giuditta. Ich habe ihr bis jetzt nichts gesagt, weil ich nicht so genau weiß, wie ich mich verhalten soll. Was soll ich tun?«
»Gut, gut …«
»Doktor!«, fuhr Donnola wütend auf. »Ihr habt mir überhaupt nicht zugehört!«
Isacco blieb stehen und schaute ihn beleidigt an. »Ich habe sehr wohl zugehört. Giuditta näht. Gut, ich freue mich für sie.«
»Nein, Doktor.« Donnolas Gesicht war vor Zorn gerötet. »Ich habe Euch gesagt, dass es Giuditta nicht gut geht. Überhaupt nicht gut. Und dass sie Liebeskummer hat.«
Isacco nickte ernst, dann schüttelte er den Kopf. »Das ist in dem Alter so. Da hat man immer Liebeskummer.« Dann hörte er die Glocken der nahe gelegenen Kirche Santi Apostoli läuten. »Es ist schon spät«, sagte er und beschleunigte seinen Schritt, während er die Salizada del Pistor entlanglief, in der sich der angenehme Duft nach frisch gebackenem Brot verbreitete. Er drehte sich nach Donnola um, der stehen geblieben war, und bedeutete ihm mit einem Wink, ihm zu folgen. »Hör zu, ich habe es eilig. Ich werde mit ihr sprechen, einverstanden? Jetzt gehst du aber in die Apotheke Zum Goldenen Kopf und holst ein Öl, das ich dort bestellt habe. Den Extrakt aus Guajakholz, sag ihnen das. Die Indianer in Amerika benutzen ihn für so gut wie alles, und anscheinend wirkt er. Und wenn dir der Kerl wieder seinen schrecklichen Theriak aufschwatzen will, sag ihm, den kann er sich sonstwohin stecken. Hast du verstanden?«
»Ja, Doktor«, erwiderte Donnola mürrisch.
»Und dann bring mir das Öl zum Haus des Hauptmanns.«
»Ja, Doktor«, grummelte Donnola.
»Was hast du denn? Was ist los?«, fuhr Isacco ihn ungeduldig an. »Lanzafames Geliebter geht es furchtbar schlecht, Donnola. Sie ist sehr krank. Begreifst du das? Ihr Leben liegt in meinen Händen, und ich weiß nicht, was ich tun soll. Alle Ärzte, mit denen ich gesprochen habe, erzählen nur dummes Zeug. Die wissen genauso wenig wie ich, wie sie diese französische Krankheit oder wie zum Teufel die sonst heißt, behandeln sollen. Weißt du, wie ich vom Guajakholz erfahren habe? Ich bin zum Hafen gegangen und habe dort mit den Seeleuten gesprochen. Verstehst du? Das Leben dieser Frau hängt von den Gerüchten der Seeleute ab, die sie aus der Neuen Welt mitbringen.«
Wütend starrte er Donnola an. Er konnte sich noch so oft sagen, dass er sein Möglichstes tat, um die Hure zu retten, die Lanzafame so am Herzen lag. Aber tief in seinem Innern hatte er dennoch das Gefühl, nicht genug zu tun und dieser Aufgabe nicht gewachsen zu sein. Vor allem jedoch war er seelisch so aufgewühlt, dass er die Gedanken an Marianna nicht mehr von denen an seine Frau H’ava trennen konnte. Die Heilung dieser Prostituierten würde ihn von der alten Schuld befreien, versagt zu haben, als seine Frau im Kindbett gestorben war. Wenn er Marianna rettete, würde er damit gleichzeitig H’ava retten. »Also? Was hast du? Was willst du von mir?«, fragte er erneut unwirsch.
Donnola senkte den Blick. »Nichts, Doktor.«
»Gut«, erwiderte Isacco knapp und bog in die Ruga dei Speziali ab.
Als er in Hauptmann Lanzafames Dachwohnung ankam, wurde er von der stummen Dienerin mit betrübtem Gesicht empfangen.
Isacco schob sich an ihr vorbei ins Wohnzimmer. Lanzafame lief nervös im Zimmer auf und ab und trat auf alles ein, was ihm vor die Füße kam. Auf dem Boden lag eine leere Flasche Malvasier. »Es wurde auch Zeit, dass du kommst, Doktor«, fuhr er Isacco an, sobald er ihn bemerkt hatte.
»Hier bin ich, Hauptmann«, sagte Isacco, ohne sich auf einen Streit einzulassen.
»Jetzt geh schon zu ihr, worauf wartest du noch?«, knurrte Lanzafame.
Isacco ging ins Schlafzimmer. Marianna atmete schwer. Ihr Gesicht war ganz schmal geworden, als wäre seit seinem letzten Besuch ein Monat und nicht nur eine Nacht vergangen. Isacco trat an ihr Lager und legte ihr eine Hand auf die Stirn. Sie glühte. Er gab ein wenig Sud aus Weihrauch und Teufelskralle auf einen Löffel und flößte ihn ihr ein. Die Frau brachte die Flüssigkeit kaum herunter. Dann riss sie die Augen weit auf, offenbar in dem Versuch, ihn klar zu erkennen.
»Die ganze Nacht oder bloß eine Stunde, Fremder?«, fragte sie ihn.
»Ich bin Isacco, Marianna … Ich bin der Doktor …«
»Bist du ein Soldat?«
»Sie faselt schon die ganze Nacht dieses wirre Zeug«, sagte Lanzafame,
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