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Das Mädchen, das den Himmel berührte: Roman (German Edition)

Das Mädchen, das den Himmel berührte: Roman (German Edition)

Titel: Das Mädchen, das den Himmel berührte: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Luca Di Fulvio
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habt, edler Herr«, sagte der Wirt inzwischen. »Es sind seltsame Zeiten hier in Rimini. Letzten Monat wurden zwei Pfandleihen überfallen. Und warum? Weil zwei Sacri … ich muss lachen, dass die das Wort ›heilig‹ im Namen tragen … also weil zwei Sacri Monti di Pietà eröffnet haben. Und die tun ja auch nichts anderes als die Pfandleihen. Nur dass die Kirche dahintersteht, die hier sehr mächtig ist und … wenn Ihr erlaubt … Nun gut, lassen wir das … Die Pfaffen erzählen so viel über die Juden, aber sie selbst wollen doch nur noch mehr Geld aus uns herauspressen als die, meine ich. Aber leider begreift das einfache Volk das nicht und folgt der Kirche wie …«
    »Sprich ja nicht weiter!«, donnerte seine Gemahlin, die mit einer zierlichen, bescheiden wirkenden Frau hinter ihm erschien.
    Der Wirt lachte aus vollem Hals, holte Luft und sagte leidenschaftlich: »Das einfache Volk läuft der Kirche hinterher …«
    »Sag es nicht!«
    »… wie Fliegen der Scheiße«, vollendete er triumphierend seinen Satz und brach in schallendes Gelächter aus.
    »Wenn die Schergen des Papstes dich auf der Piazza verbrennen, will ich sehen, ob du auch dann noch lachst«, schimpfte die Wirtin und schob die Frau nach vorn, die sie begleitete. »Ester, hilf meinem Dummkopf von Ehemann.«
    Shimon bemerkte, dass Ester über die Bemerkung des Wirtes lächelte. Hinter ihrem bescheidenen Auftreten war sie eine schöne Frau mit edlen Zügen. Die Nase war recht schmal, ihre Augen waren tiefgrün wie Skarabäen und ihre Lippen voll und rosig. Sie neigte sittsam, aber unbefangen den Kopf vor Shimon.
    »Also, edler Herr«, sagte der Wirt darauf. »Jetzt seid so gut und schreibt uns Eure Wünsche auf. Wir werden sie zu erfüllen wissen.«
    Shimon sah Ester an, die näher auf ihn zukam. Ich werde mich verbergen, dachte er.
    Ester fing seinen Blick auf und schlug die Augen nieder.
    Shimon war plötzlich verwirrt. Er hatte jeden Gedanken an das Mädchen in Narni aus seinem Kopf verbannt und alles, was mit ihr zu tun hatte, angefangen bei seinem körperlichen Versagen. Aber selbst wenn er versucht hatte, nicht daran zu denken, wusste er, dass diese Begebenheit eine Kerbe in seinen harten Panzer geschlagen hatte. Seine innerliche Kälte war nicht gewichen, im Gegenteil, sie war noch stärker geworden. Doch gleichzeitig hatte ihn auch ein Gefühl von Einsamkeit überfallen.
    Er nahm die Feder, tauchte sie in das Tintenfass, und nach einem kurzen Zögern fing er an zu schreiben. Als er fertig war, wandte er sich an Ester. Ihm kam es vor, als sähe die Frau ihn jetzt anders an.
    »Der Herr heißt Alessandro Rubirosa … Er ist Christ. Er ist auf dem Weg nach Venedig. Er benötigt ein Zimmer …«
    Shimon dachte, dass Esters Stimme so melodiös klang wie die der Sängerinnen aus seiner fernen Heimat.
    »… und vor dem Abendessen möchte er ein heißes Bad.«
    »Sehr gern«, sagte der Wirt eilfertig.
    »Zum Abendessen haben wir ein gebratenes Ferkel, nach dem Ihr Euch die Finger lecken werdet«, verkündete die Wirtin. »Mit Quitten und Kastanien.«
    Shimon wollte schon nicken, als sein Blick erneut von Esters Augen angezogen wurde, die ihn eindringlich ansahen. Deshalb winkte er ab und schrieb: SCHWEINEFLEISCH VERDAUE ICH SCHWER. ICH WILL EINE HÜHNERBRÜHE. Und während Ester seine Worte der Frau des Wirts laut wiederholte, kam es ihm vor, als klänge sie erleichtert. Die Frau des Wirts versuchte, noch einmal ihr Ferkel anzupreisen, doch Shimon schüttelte nur kurz den Kopf.
    »Behellige ihn nicht weiter«, wies der Wirt sie zurecht, dann wandte er sich einer Magd zu. »Lass dir helfen, eine Wanne in das Zimmer des edlen Herrn hier zu bringen und setz Wasser auf für ein Bad.«
    »Ein Bad?«, fragte die Magd verwirrt.
    »Es ist ja nicht jeder so ein Schmutzfink wie du«, schimpfte der Wirt. Er verbeugte sich vor Shimon und wollte gehen. Dann bemerkte er, dass Ester noch dastand. »Danke, Ester, wir brauchen dich nicht mehr.«
    Ester warf Shimon einen verstohlenen Blick zu, dann ging sie zur Tür. Dort drehte sie sich noch einmal um und sah ihn an.
    Shimon stand auf und folgte ihr auf die Straße.
    »Du bist Jude, richtig?«, fragte Ester sogleich.
    Shimon fuhr zusammen und schüttelte energisch den Kopf.
    Ester sah ihn schweigend an. Ihre klugen grünen Augen leuchteten, und ihre vollen Lippen verzogen sich in einem mädchenhaften Lächeln. »Als du die Feder in die Hand genommen hast, wolltest du von rechts nach links schreiben, wie man es

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