Das Mädchen, das den Himmel berührte: Roman (German Edition)
gefunden habe, du Floh?«, grinste Scarabello ihn an.
Mercurio antwortete nicht.
»Ich bin der Herr über diese Welt, und damit auch dein Herr«, fuhr Scarabello fort, wobei er Mercurios Verblüffung sichtlich genoss. »Ich weiß stets über alles Bescheid. Besonders über meine Männer.«
Mercurio kickte einen Kiesel fort, seine dunklen Locken fielen ihm in die Stirn. Dann sah er zu Scarabello auf.
»Und du gehörst mir doch, oder?«, fügte Scarabello hinzu.
»Was willst du?«, fragte Mercurio.
»Ich hätte da einen kleinen Auftrag für dich. Steig ein.«
Mercurio drehte sich zum Haus um. Anna stand in der Tür und starrte ihn ausdruckslos an.
»Brauchst du etwa ihre Genehmigung?«, lachte Scarabello.
»Schwachkopf«, sagte Mercurio und sprang ins Boot.
»Fahren wir«, befahl Scarabello den beiden Männern an den Riemen. Seine Miene wirkte auf einmal wie eingefroren.
Das Boot schob sich durch das Röhricht. Keiner sprach. Man hörte nichts bis auf das klatschende Geräusch der Ruder, wenn sie in das stehende Wasser des Kanals eintauchten.
Als sie außer Sichtweise des Hauses waren, bedeutete Scarabello Mercurio, etwas näher zu kommen. Auf seinem Gesicht lag immer noch diese Eiseskälte. Mercurio beugte sich vor. Da ließ Scarabello geschwind wie eine Schlange seinen Kopf vorsausen und versetzte ihm einen kräftigen Hieb auf die Nase.
Mercurio fiel nach hinten und spürte, wie ihm das Blut über die Lippen und dann das Kinn hinunterlief. Tränen schossen ihm in die Augen.
Scarabello holte ein mit kostbarer Spitze umsäumtes Leinentaschentuch heraus und tauchte es in das Wasser des Kanals, während das Boot weiter Richtung Venedig steuerte. Er wrang das Tuch aus, packte Mercurio am Jackenkragen, zog ihn zu sich heran und wischte ihm sorgfältig das Blut ab.
»Du wirst mich nie wieder Schwachkopf nennen, du Floh«, sagte er zu ihm. »Ist das klar?«
Mercurio spürte, wie seine Nase schmerzhaft pochte.
Scarabello reichte ihm das Taschentuch, das jetzt rot eingefärbt war. »Drück das fest darauf.«
Mercurio nahm es und stillte damit das Blut, das weiter aus seinen Nasenlöchern strömte.
»Wie gesagt, ich hätte da einen kleinen Auftrag, der wie gemacht für dich scheint«, fuhr Scarabello nun fort, als ob nichts geschehen wäre.
»Ich weiß nicht, ob ich noch weiter ein Betrüger sein möchte«, wandte Mercurio ein.
Scarabello betrachtete ihn schweigend. Dann lächelte er kaum merklich. »Für wen hältst du mich, Junge?«, fragte er dann.
»Was meinst du damit?«
»Habe ich dir je den Eindruck vermittelt, ich wäre ein Narr?«
»Nein …«
»Warum behandelst du mich dann so?«
»Ich verstehe nicht recht …«
Scarabello seufzte auf und setzte sich neben Mercurio. Dann legte er ihm einen Arm um die Schulter. »Du gehörst mir, verstehst du? Wenn ich dir sage, dass ich einen kleinen Auftrag für dich habe, dann erledigst du ihn. Es interessiert mich nicht, ob deine verfluchte Anna del Mercato dich überzeugen will, Bauer, Fischer, Flickschuster oder irgendetwas anderes zu werden. Du weißt doch, was du bist, oder, mein Junge? Du bist ein gewitzter Betrüger. Und ein Meister der Verkleidungskunst. Das muss ich dir lassen.« Scarabello zog ihn an sich. Wie in einer freundschaftlichen Geste. Oder als wollte er ihn erwürgen. »Und du gehörst mir.« Mit diesen Worten ließ er ihn los. »Weißt du, was ich glaube? Du siehst mich … mit den Augen eines arglosen Mädchens.« Er lachte. »Du lässt dich von meinen Kleidern, meinem eleganten Auftreten blenden … und hältst mich für jemand ganz anderen. Aber ich bin genau der, der ich bin, Junge. Schau mir in die Augen. Nur hier findest du die Wahrheit. Machen dir meine Augen Angst?« Er grinste. »Ja. Meine Augen machen dir Angst. Denn ich bin nur das, was du darin siehst. Und ganz bestimmt bin ich weder dein Freund noch der von irgendjemand anderem. Und weil ich nicht dein Freund bin, interessiert es mich nicht, was du willst, und dein schlechtes Gewissen schert mich einen feuchten Dreck. Für mich zähle nur ich selbst. Ist das klar?«
Mercurio nickte. Er spürte, wie seine Nase anschwoll.
Scarabello lächelte zufrieden. »Sehr gut.« Er setzte sich wieder an seinen Platz, schlug die Beine übereinander und hüllte sich in Schweigen.
Mercurio überlegte, suchte fieberhaft nach einer Lösung. Eigentlich hatte er geglaubt, dass sein Leben gerade eine Wende erfahren hätte. Dass er sich nun auf seinen Traum konzentrieren könnte, ein eigenes
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