Das Mädchen, das den Himmel berührte: Roman (German Edition)
Giuditta an. Isacco musste den Stolz im Blick seiner Tochter entdeckt haben, als das Mädchen nicht müde wurde zu wiederholen, Marianna hätte kurz vor ihrem Tod der Freundin anvertraut, was sie für einen tüchtigen Arzt gefunden hätte, mit einem großen Herzen und ohne jedes Vorurteil.
»Es gibt fast zwölftausend Huren in Venedig«, sagte Donnola, als sie dem Mädchen durch ein Tor folgten, das in kräftigem Scharlachrot gestrichen war.
»Dann kann ich ja so viele davon umbringen, wie ich will«, knurrte Isacco. »Sie werden deshalb wohl kaum aussterben.«
»Wann werdet Ihr endlich aufhören, Euch selbst zu bemitleiden, Doktor?«, fragte Donnola.
»Und weshalb sollte ich fröhlich sein?«
»Nun ja, zum Beispiel, weil es zwölftausend Huren in Venedig gibt.«
»Ja und?«
»Statt dass Ihr nachgrübelt, wie viele von ihnen Ihr umbringen werdet«, erklärte Donnola, »solltet Ihr Euch mal etwas mehr wie ein Jude benehmen und Euch überlegen, wie viele Rechnungen Ihr stellen könntet.«
Isacco starrte ihn schweigend an. Er wusste, dass niemand außer Donnola so etwas für ihn getan hätte. »Danke, Donnola …«, sagte er schließlich.
»Dank wofür?«
»Ach, gar nichts.« Isacco lächelte traurig. »Aber trotzdem danke.«
»Aus Euch soll einer schlau werden, Doktor«, sagte Donnola kopfschüttelnd. »Bemüht Euch aber trotzdem, Eurer ersten Patientin keinen Unsinn zu erzählen. Macht bitte einen guten Eindruck.«
»Donnola, geh zum Teufel.«
»Oh! Jetzt erkenne ich Euch wieder!«, lachte Donnola. »Los, kommt, bevor das arme Mädchen noch vor Ungeduld stirbt.«
Isacco gab sich einen Ruck und stieg die drei kleinen Stufen hinauf, die in den Innenhof des Gebäudes führten. Innen schlug ihm sogleich wieder jene merkwürdige Geruchsmischung entgegen, die er schon von Weitem wahrgenommen hatte. Es duftete nach Koriander und Eisenkraut, nach orientalischen Gewürzen, edlen Hölzern, Amber, Myrrhe, Weihrauch und exotischen Blüten. Aber es stank auch gehörig nach Schweiß, Urin und Exkrementen, nach Schimmel und verfaulenden Nahrungsmitteln. Und all diese Essenzen, gute wie schlechte, die sich gegenseitig zu überlagern versuchten, vereinten sich zu einem Sündenbabel der Gerüche, sodass Isacco ganz schwindlig wurde und er sich am Geländer der Treppe festhalten musste, die sie inzwischen erreicht hatten.
»Fühlt Ihr Euch nicht gut?«, fragte Donnola besorgt.
Isacco sah nach oben. Ein paar Stufen über ihm war eine fette Frau ohnmächtig gegen das Geländer gesunken. Ein Kleinkind pinkelte gegen die Wand. Um ihn herum herrschte ein reges Treiben von Männern und Frauen, die lachten, fluchten, stolperten, ausspien, sich gegenseitig unter den Kleidern betasteten, miteinander stritten, sich küssten oder schlugen, wegliefen oder sich verfolgten. Und ebenso wie die Gerüche verdichteten sich auch die Geräusche zu einem einzigen, schier unerträglichen Lärmbrei.
Das Mädchen wartete auf einer Stufe voller Erbrochenem und hüpfte ungeduldig von einem Bein auf das andere.
»Großer Gott …«, entfuhr es Isacco, »wo sind wir denn hier bloß gelandet?«
Donnola lachte. »Wir sind im Torre delle Ghiandaie. Dieser Turm und die anderen bilden das Castelletto, Doktor. Das Hurenviertel.«
»Großer Gott …«, wiederholte Isacco.
»Los, beeilt Euch bitte!«, rief das Mädchen.
Isacco nickte ihr zu und betrat die erste Stufe, als eine spindeldürre Prostituierte mit einer Nase so krumm wie ein Steinadlerschnabel sich vor seinen Augen das Hemd öffnete und ihm einen schlaffen, ausgezehrten Busen darbot. Isacco bedeckte seine Augen mit einer Hand, verzog das Gesicht und ging weiter.
»Sodomit!«, schrie ihm die Hure wütend hinterher.
Isacco drehte sich um. Die Frau hatte nun den Mund geöffnet und zeigte ihm ihre wenigen verbliebenen, gelblich verfärbten Zähne. »Magst du etwa keine Frauen, Sodomit?«, schrie sie ihn geifernd an.
Donnola konnte sich nicht mehr zurückhalten und brach in Gelächter aus. Und da musste auch Isacco zum ersten Mal nach vielen Tagen lachen. Zaghaft zwar, aber er lachte. Und in seiner Seele rührte sich etwas Neues, Entscheidendes. Nun drängte es ihn plötzlich weiter, er überholte Donnola und nahm immer zwei Stufen auf einmal, bis er das Mädchen eingeholt hatte.
»Was lachst du, du Sodomit?«, schrie ihm die Prostituierte mit schriller Stimme hinterher und zeigte immer noch herausfordernd ihren schlaffen Busen. »Sodomit!«
»Doktor, so wartet doch!«, keuchte Donnola,
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