Das Mädchen, das den Himmel berührte: Roman (German Edition)
der inzwischen deutlich zurückgefallen war. »Da soll Euch doch der … Euch soll einer verstehen. Was ist denn auf einmal in Euch gefahren?«
»Beeil dich, Donnola!«
»Das ist doch völlig verrückt …«, brummte Donnola.
Im fünften Stock mussten sie sich zunächst durch eine dicht gedrängte Menge von Männern und Frauen schieben, dann führte das Mädchen Isacco einen schmalen, dunklen Gang entlang. Die meisten Lampen an den Wänden waren entzwei und brannten nicht. Dutzende von Türen lagen dicht an dicht nebeneinander. Einige standen offen, und Isacco sah im Vorübergehen, wie sich dort auf schmutzigen Lagern Frauen und Männer ungeschlacht umarmten. Völlig unbeeindruckt lief das Mädchen weiter. Als sie zu einer kleinen Tür kamen, an der die grob hingeworfene Zeichnung einer üppigen, tief dekolletierten Frau befestigt war, klopfte das Mädchen erst dreimal, dann zweimal und schließlich nur noch einmal und sagte dann: »Ich bin’s.«
»Bist du allein?«, fragte von drinnen jemand mit schwacher Stimme.
»Ich habe den Doktor mitgebracht«, erwiderte das Mädchen.
Hinter der Tür hörten sie unterdrücktes Schluchzen, dann eine Stimme: »Komm herein.«
Das Mädchen nahm einen Schlüssel, den es an einer Kette um den Hals trug, steckte ihn ins Schloss und sperrte auf. Bevor sie die Tür ganz öffnete, wandte sie sich an Isacco. »Macht meine Mutter wieder gesund, Doktor … bitte«, sagte sie und biss sich auf die Unterlippe, um die Tränen zurückzuhalten. »Und verratet ihr nicht, dass ich geweint habe«, fügte sie flüsternd hinzu.
Isacco nickte. Doch wieder spürte er, wie die Verantwortung schwer auf ihm lastete. Eigentlich sollte er jetzt gehen. Er sollte dem Mädchen sagen, dass seine Mutter nicht zu retten war, dass sie Höllenqualen erleiden würde und dann von der Krankheit aufgezehrt sterben würde.
»Da bin ich«, schnaufte Donnola, der in dem Moment am oberen Ende der Treppe erschien.
Isacco betrachtete ihn. »Was tun wir denn jetzt?«, fragte er ihn leise.
Das Mädchen starrte die beiden Männer an.
Donnola, den diese Frage unvorbereitet traf, wusste keine Antwort.
»Macht das, was ihr bei Marianna getan habt«, sagte das Mädchen mit vom Weinen geröteten Augen. »Selbst wenn sie sterben muss …«, hier unterdrückte sie ein Schluchzen, »lasst sie so glücklich sterben wie Marianna.« Dann fuhr sie mit einer Hand in die Schürzentasche, holte ein grünes, zugeknotetes Taschentuch hervor, knüpfte es auf, nahm einen Marchetto und hielt die kleine Münze Isacco hin.
Isacco spürte auf einmal, wie sein Kopf von all dem Wein, den er in den letzten Tagen getrunken hatte, ganz schwer wurde. Er sog die ungesunde Luft im Gang ein und betrachtete den Marchetto auf der Handfläche des Mädchens. Es war eine von den Münzen, die nur kleine Kinder und die Ärmsten der Armen benutzten. Er schloss die schmutzige Hand des Kindes um die schäbige Münze. »Behalt sie!«, sagte er.
Dann trat er ein.
43
L os, an die Ruder!«, rief Mercurio, als er auf die Zitella sprang, das Boot des Fischers von Mestre, der ihn beim ersten Mal im Fischkorb verborgen nach Venedig gebracht hatte.
Der Fischer wusste inzwischen, wer Mercurio war und dass der Junge für Scarabello arbeitete. »Wohin wollt Ihr fahren, Herr?«, fragte er.
»Zunächst zum Rio della Tana und dann zur Porta di Terra des Arsenals«, erwiderte Mercurio.
Der Fischer zögerte. »Rio della Tana?«, fragte er leise nach. »Da gibt es doch nichts … Nur die Mauern des …«
Mercurio setzte sich wortlos an den Bug und wandte ihm den Rücken zu.
»Tonio!«, rief der Fischer. Und als daraufhin ein hünenhafter, kräftiger Mann mit einem kleinen Ring im linken Ohr erschien, sagte er zu ihm: »Hol deinen Bruder, ich brauche jemanden zum Rudern.«
Tonio drehte sich um. »Berto! Los, an die Riemen!«, rief er. Einen Augenblick später erschien ein anderer junger Mann auf der Mole. Er war noch größer und kräftiger als sein Bruder und hatte ebenfalls einen kleinen Ring im Ohr.
Mercurio betrachtete die beiden. Ihm war nicht wohl bei dem Gedanken, in Gesellschaft von gleich zwei solchen Riesen durch die Lagune zu fahren.
»Der Herr ist ein Freund von Scarabello«, sagte der Fischer zu den beiden Brüdern, als hätte er Mercurios Bedenken erahnt.
Die beiden Hünen zuckten sofort zusammen, als sie Scarabellos Namen hörten. »Mein Herr …«, grüßte der eine von ihnen Mercurio.
»Wir fahren zum Arsenal«, sagte der Fischer.
Die beiden
Weitere Kostenlose Bücher