Das Mädchen, das den Himmel berührte: Roman (German Edition)
Benedetta.
»Damit wir uns besser unterhalten können«, antwortete die Magierin Reina, nahm sich eine Tasse und trank einen kleinen Schluck.
Benedetta starrte die ihr zugedachte Tasse misstrauisch an.
Reina setzte daraufhin ihre Tasse ab, nahm sich die andere und trank auch von dieser. »Vertraut mir, Eure hochverehrte Herrschaft.«
Daraufhin nahm Benedetta nun die Tasse auf und roch an der milchigen Flüssigkeit. Sie verströmte ein würziges, ein wenig beißendes, aber nicht unangenehmes Aroma. Benedetta trank einen Schluck. Die Flüssigkeit schmeckte bitter. Eine Bitterkeit, die sich weniger auf der Zunge als in der Kehle bemerkbar machte. Angewidert verzog sie das Gesicht und wollte die Tasse schon aufs Tablett zurückstellen, als die Hand der Magierin Reina sie sanft und entschieden davon abhielt.
»Man trinkt es nicht, weil es so gut schmeckt«, erklärte sie.
Benedetta kam es vor, als klänge die Stimme der Magierin weiter entfernt. Aber gleichzeitig auch mächtiger. Sie nippte noch einmal an der Tasse. Jetzt schmeckte das Gebräu schon weniger bitter. Und beim dritten Schluck noch weniger. Beim vierten bemerkte sie, dass sie kein Gefühl mehr in der Kehle hatte und diese ein wenig anschwoll. Sie legte eine Hand an den Hals. Aber gleichzeitig wurde ihr bewusst, dass sie eigentlich gar keine Angst empfand.
Die Magierin Reina beobachtete sie aufmerksam und trank ebenfalls von dem Gebräu.
Plötzlich fühlte sich Benedetta ganz ruhig, als wäre sie losgelöst von ihrer Umgebung. Als Erstes bemerkte sie, dass ihre Sicht eingeschränkt war. In der Mitte ihres Gesichtsfeldes sah sie ausgezeichnet, vielleicht sogar besser als sonst. Die Farben leuchteten hell, die Schatten zeichneten sich klar voneinander ab, die Formen waren rund und voll. Aber am Rand des Sehfeldes wirkte alles verschwommen, die Linien und Farben verliefen ineinander, als läge ein Ölfilm darüber. Unruhig wandte Benedetta den Kopf hin und her.
»Jetzt könnt Ihr Euch endlich auf das konzentrieren, was Ihr von ganzem Herzen begehrt«, sagte die Magierin Reina. »Auf das, was inmitten Eures Seins liegt, auf das, wonach Euer Innerstes verlangt.«
Die Stimme der Magierin schwappte wie in Wellen an Benedettas Ohren. Einige Worte wurden betont, andere waren kaum zu hören. Als ob das, was sie interessierte, hervorgehoben wurde, während der Rest unterging. Benedetta hatte das Gefühl, sich ihrer selbst ganz besonders bewusst zu sein, ohne jegliche Ablenkung von außen.
»Die Menschen kommen aus den verschiedensten Gründen zu mir«, begann die Magierin Reina. »Aber nur wenige wissen, was sie wirklich wollen. Die meisten bitten um etwas, von dem sie meinen, sie sollten es wollen. Sie bitten um das, was die Konventionen, die Gesellschaft, die Kirche ihnen aufgezwungen hat. Sie bitten um das, was die Ehre verlangt, was die Tradition überliefert, was die Familie erwartet. Sie tragen ihre Anliegen vor mit der Stimme von jemandem, der sie gern wären …«
Benedetta fühlte sich von Reinas honigsüßer Stimme wie verzaubert. Sie spürte, wie ihre Worte gleichsam in ihren Kopf eindrangen, es war, als ob ihr Leib sie aufsaugte wie ein Schwamm.
»Gefühle sind geheim und vielschichtig«, fuhr die Magierin fort. »Noch rätselhafter und verschlungener als das Netz der Kanäle in unserer geheimnisvollen schwimmenden Stadt. Das wisst Ihr doch, nicht wahr?«
Benedetta nickte. Sie hatte Mühe, die Augen aufzuhalten.
»Wollt Ihr mir jetzt bitte sagen, Eure hohe Herrschaft, wie Ihr heißt?«
»Bene … detta …«
»Benedetta, wollt Ihr mir nun noch den Grund nennen, weshalb Ihr mich durch Euren edlen und mächtigen Beschützer, dessen demütige Dienerin ich war und immer sein werde, habt suchen lassen?«
Benedetta dachte über den Grund nach, der sie hierhergeführt hatte. »Ich werde nie wieder eine einzige Träne vergießen«, sagte sie laut.
Die Magierin Reina erwiderte nichts. Sie starrte sie nur durchdringend an.
»Ich werde nie wieder eine einzige Träne vergießen«, wiederholte Benedetta. Und der Satz hallte in ihr nach, als würde er von einer Seite ihres Körpers zur anderen zurückgeworfen. Plötzlich spürte sie, dass er aus ihr herausgeschleudert wurde. Und sie überkam Angst, dass sie danach vollkommen leer zurückbleiben würde. Hilfesuchend, mit weit aufgerissenen Augen und offenem Mund, starrte sie die Magierin Reina an.
»Fürchtet Euch nicht, Benedetta«, beruhigte diese sie sogleich. »Das war etwas, das Euch nicht eigen
Weitere Kostenlose Bücher