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Das Mädchen, das den Himmel berührte: Roman (German Edition)

Das Mädchen, das den Himmel berührte: Roman (German Edition)

Titel: Das Mädchen, das den Himmel berührte: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Luca Di Fulvio
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war. Schließt nun die Augen und horcht genauer in Euch hinein. Was wollt Ihr wirklich von mir? Oder besser gesagt, was wollt Ihr erreichen?«
    Benedetta schloss die Augen. Sie hörte ein lautes Rauschen in der Finsternis. Dann erschien ein farbiger Fleck vor ihr. Rot, pulsierend. Das Herz, dachte sie. Und sie spürte ihr eigenes ruhig und gleichmäßig schlagen. Da begriff sie, dass ihr Herz nichts von ihr verlangte, und der Fleck verschwand wieder. Ihr wurde klar, dass sie immer noch nicht wusste, ob sie je wieder Tränen vergießen würde oder nicht. Doch nun hatte sie keine Angst mehr vor dem Schmerz, den sie so gut kannte. Sie tauchte wieder ein in die Finsternis und in deren Dröhnen, das in ihrem Innern widerhallte. Und aus der Dunkelheit stieg schleichend etwas auf, wie eine Säule aus dichtem, schwerem Rauch in stehender Luft, und begann sich wie eine gelbe Schlange geschmeidig emporzuwinden und in vielen Strömen zu verbreiten, bis es die gesamte Schwärze ausgefüllt und eingefärbt hatte. Gelb, dachte Benedetta. Und sie hatte das Gefühl, gefunden zu haben, wonach sie tief im Grunde ihres Herzens gesucht hatte.
    Sie schlug die Augen auf und sah die Magierin Reina an. Ihre Sicht war noch getrübt, doch ihr Kopf fühlte sich klar und leicht an. »Gelb«, sagte sie zu ihr.
    »Galle«, erklärte die Magierin Reina und nickte.
    »Jüdin«, sagte Benedetta.
    »Wisst Ihr nun, wonach Euer Innerstes verlangt?«, fragte die Magierin Reina.
    »Ja.«
    »Wonach?«
    »Unglück. Einsamkeit. Verzweiflung. Verderben. Trennung.«
    Die Magierin Reina lächelte. Traurig, aber auch wissend. »Viele kommen hierher und meinen, sie wollten Liebe«, sagte sie leise. »Und dann entdecken sie, dass sie sich von Hass nähren.«
    »Unglück. Einsamkeit. Verzweiflung. Verderben. Trennung …«, wiederholte Benedetta und betonte jede einzelne ihrer Verwünschungen.
    Die Magierin Reina nickte. »Aufbau und Vernichtung. Liebe und Hass. Das macht uns aus. Entweder da lang oder dort. Einen Mittelweg gibt es nicht.«
    »Vernichtung«, sagte Benedetta tonlos.
    Die Magierin Reina sah sie durchdringend an. »Hört mir gut zu. Ihr müsst immer wissen, wofür Ihr Euch entscheidet …«
    »Vernichtung …«, wiederholte Benedetta lauter.
    Die Magierin Reina nickte. In ihren Augen schimmerte Mitleid auf. Sie holte tief Luft und sagte dann: »Die Liebe nährt und lässt gedeihen. Hass verzehrt und schwächt. Liebe bereichert, Hass nimmt. Versteht Ihr mich, Benedetta?«
    »Vernichtung«, sagte Benedetta zum dritten Mal, ihre Stimme klang entschieden, tief und rau.
    »Die Liebe wärmt«, fuhr Reina fort. »Der Hass lässt erfrieren.«
    Benedetta starrte sie an, ihr Blick ließ weder Unsicherheit noch Schwäche vermuten.
    »Ihr habt Eure Wahl getroffen«, sagte die Magierin schließlich. »Ich stehe Euch zu Diensten, aber ich bin weder Euer Unheil noch Euer Segen. Was ich tue, geschieht durch Euren Willen, und die Folgen werden nicht auf mich zurückfallen. Amen. Sagt Amen, Benedetta.«
    »Amen.«
    »Alles Böse, was man jemandem wünscht, fällt früher oder später auf einen selbst zurück. Nicht auf mich, sondern auf den, der es sich gewünscht hat. Ist Euch das klar, Benedetta?«
    »Das ist mir gleich.«
    »Sagt Amen.«
    »Amen.«
    »Ihr müsst mir etwas von der Person bringen. Am wirkungsvollsten sind Haare. Aber ein Kleidungsstück genügt auch.«
    »Ihr werdet die Haare bekommen.«
    »Jetzt seid Ihr bereit. Wenn Ihr fortfahren wollt, erhebt Euch und schließt die Augen«, sagte die Magierin Reina und stand auf.
    Benedetta erhob sich ebenfalls und schloss die Augen.
    Die Magierin legte ihr eine Hand auf die Stirn und eine auf die Brust, direkt unterhalb des Brustbeins. »Wessen Vernichtung wünscht Ihr, Benedetta? Sprecht den Namen vor den Geistern aus, die sich mit Euch verbünden werden und die ich beschwöre. Nennt ihn!«
    »Giuditta di Negroponte.«
    »So soll es sein.«

47
    E s war weit vor Tagesanbruch, als Mercurio aufstand. Er hatte immerzu an Giuditta denken müssen und daher kaum geschlafen. Nun war er bei aller Müdigkeit aufgeregt und besorgt, auch wenn er nicht daran zweifelte, dass im Arsenal alles gut gehen würde. Ihm konnte nichts geschehen. Das Leben zeigte sich ihm zurzeit von seiner Sonnenseite.
    Giuditta und er hatten gestern Abend miteinander gesprochen. Sie hatten einander viel mehr gesagt, als er sich erhofft hatte, hatten einander in zarten Andeutungen ihre Gefühle füreinander offenbart. Würde er jemandem erzählen,

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