Das Mädchen, das den Himmel berührte: Roman (German Edition)
kann für mich selbst sorgen …« Anna sah ihn liebevoll an. »Das verdanke ich dir. Du hast mir die Lust am Leben wiedergegeben und den Glauben daran, dass ich es schaffen kann.«
»Ich bin aber dageg …«
Anna unterbrach ihn mit einer ungeduldigen Handbewegung. »Ich tue das um meinetwillen«, sagte sie.
»Ja schon, aber …«
»Hör mal zu, du Dickschädel«, sagte Anna, ging auf ihn zu und nahm sein Gesicht in ihre rissigen Hände. »Stell dir doch vor, wie viel es mir bedeutet, etwas zu deinem Ziel beizusteuern, und sei es auch nur ein halber Soldo.« Sie sah ihm in die Augen und lächelte ihn offen an. »Das verstehst du doch, oder?«
Mercurio nickte widerstrebend. »Ja.«
Anna küsste ihn auf die Stirn. »Jetzt lass mich gehen, denn es ist ein langer Weg nach Venedig.«
»Nach Venedig willst du?«, fragte Mercurio und grinste. »Dann dauert es überhaupt nicht lange.« Er nahm ihre Hand. »Komm mit«, sagte er und zog sie zur Haustür.
»Warte«, sagte Anna und reichte ihm einen Weidenkorb.
Mercurio betrachtete ihn verständnislos.
»Weißt du denn nicht, dass sich alle Arsenalotti etwas zu essen für die Mittagspause mitnehmen?«, fragte sie ihn.
Mercurio öffnete den Korb. Darin lagen ein in ein Leinentuch gewickelter kleiner Brotlaib, zwei dicke Scheiben roher Speck und zwei Zwiebeln.
An der Tür legte Anna ihm einen langen schwarzen Umhang um die Schultern. »Jetzt bleib doch mal stehen. Es müssen ja nicht alle Leute sehen, dass du hier wie ein Arsenalotto gekleidet herumläufst«, schimpfte sie, während sie vorne die Bänder schloss. »Ist das etwa die Dummheit, die du vorhast?«
Mercurio nickte und schaute zu Boden.
Anna nahm seinen Kopf mit beiden Händen und zog ihn zu sich. »Der Erzengel Michael ist mit dir. Dir kann nichts geschehen«, sagte sie. »Aber pass trotzdem auf.«
Dann liefen sie schnell zur Anlegestelle der Fischer. Mercurio deutete auf Battista, der schon an Bord der Zitella auf ihn wartete. Tonio und Berto saßen mit den Rudern in der Hand an ihren Plätzen.
»Guten Tag, Battista«, begrüßte ihn Anna.
»Guten Tag, Anna«, erwiderte der Fischer verlegen. Dann sah er den verkleideten Mercurio und riss überrascht den Mund auf.
»Ihr seid also Mercurios Spießgeselle«, bemerkte Anna.
»Spießgeselle …?«, fragte Battista mit einem leichten Zittern in der Stimme.
»Ach komm schon, ich mache doch nur Spaß!«, lachte Anna. Dann nickte sie zu Tonio und Berto hinüber, die Mercurio überrascht anstarrten. »Guten Tag, Ihr beiden. Geht es Eurer Mutter gut? Ist sie den schlimmen Husten endlich los?«
»Ja«, murmelte Tonio mit gesenktem Kopf. Er schien sich ebenfalls reichlich unwohl in seiner Haut zu fühlen.
Anna wollte noch etwas sagen, als Mercurio sie sanft ins Boot schob. »Jetzt wirst du sehen, wie schnell man in Venedig sein kann«, sagte er zu ihr, dann wandte er sich an Tonio und Berto. »Los, kommt, lassen wir meiner Mutter den Wind durch die Haare wehen.«
Anna spürte einen Stich im Herzen, und es schnürte ihr die Kehle zu.
Dann ächzten die Ruder wieder laut, weil die Brüder sich so kräftig in die Riemen legten.
Anna fiel auf, dass sie schon seit Langem nicht mehr so fröhlich gewesen war. Und sie erinnerte sich, wie sie nach dem Tod ihres Mannes geglaubt hatte, sie würde nie mehr glücklich sein können. Sie betrachtete Mercurio, und als sich ihre Blicke begegneten, sagte sie: »Danke.«
»Wofür denn?«, fragte er.
Anna zuckte mit den Achseln. »Ach, einfach so«, sagte sie lächelnd. Dieser Junge in seiner grenzenlosen Großzügigkeit war in ihren Augen wirklich etwas Besonderes. Sie betrachtete ihn noch einen Moment lang liebevoll und überließ sich dann ganz dem Spiel des Windes in ihren Haaren.
Kurz darauf bogen sie in den Rio della Maddalena ein und legten am Sottoportego delle Colonete an.
Mercurio stieg aus und half Anna aus dem Boot.
Die zeigte auf einen dunklen, heruntergekommenen Hauseingang. »Da arbeite ich.«
»Bist du sicher, dass die auch genug Geld haben, um dich zu bezahlen?«, fragte Mercurio.
»Ja. Diese verarmten Adligen sind schon merkwürdig …«, sagte Anna. »Zuerst habe ich genau dasselbe gedacht wie du, aber dann sagte mir die Köchin, die dort schon seit Jahren arbeitet, dass der Hausherr auf jeden Fall zahlt, sobald er einen Empfang vorbereitet. Und weißt du auch, warum? Weil er vermeiden möchte, dass Gerüchte aufkommen, er hätte kein Geld. Ich versteh ja nichts davon, aber die Köchin hat mir
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