Das Mädchen, das den Himmel berührte: Roman (German Edition)
Gehilfen, wie er gerade vor ihm stand, zu streiten. Er war vollkommen verwirrt, murmelte etwas Unverständliches vor sich hin und fragte dann unwirsch: »Und jetzt?«
»Was bist du eigentlich? Ein Schwachkopf?«, fragte Mercurio zurück, der begriffen hatte, dass das Spiel sich zu seinen Gunsten neigte.
»Na, dann nimm dir schon deine beiden Groß-Oberbramsegel. Aber wenn es hier einen Schwachkopf gibt, dann bist du das«, knurrte der Lagerverwalter und gab sich geschlagen. Er ging zu einem Raum mit riesigen Regalen, auf denen Dutzende von Segeln gelagert waren, holte die beiden, nach denen Mercurio gefragt hatte, und knallte sie unsanft auf den Tresen. »Aber tragen musst du sie selbst«, erklärte er ihm mit in die Hüften gestützten Händen.
Mercurio lud sich die beiden sperrigen Segel auf die Schulter und verließ unter ihrem Gewicht schwankend das Lager.
Als er die Tana, das Hanflager, entdeckte, seufzte er erleichtert auf. Er drehte sich noch einmal zum Hafenbecken um und bewunderte im Schein der untergehenden Sonne die Galeere, die er an einem einzigen Tag aus wenigen Linien Roterde bis zur Vollendung hatte erstehen sehen. Er sah die Arsenalotti auf dem Vordeck tanzen, und auch wenn er sie nicht hören konnte, wusste er, dass sie lachten. Das versetzte ihm einen leichten Stich ins Herz. Wie gern hätte er jetzt mit ihnen gefeiert.
Aber du bist eben bloß ein erbärmlicher Betrüger, sagte er sich, während er unter seiner Last beinahe zusammenbrach.
Schnell wandte er sich ab und betrat das Hanflager. Er bemühte sich, sehr geschäftig zu wirken. Dort schenkte ihm niemand Beachtung. Schließlich war er nur ein Arsenalotto, der ein wenig spät noch mit zwei Groß-Oberbramsegeln unterwegs war, anstatt sich wie die übrigen Arbeiter nach einem anstrengenden Tag auf den Heimweg zu begeben.
Mercurio fand die Treppe an der Rückseite des Gebäudes, kletterte sie mühsam nach oben und stand schließlich in einem Raum mit einem breiten Fenster, das auf die Mauer des Arsenals ging. Er sah hinunter. Der Sprung war gefährlich, doch viel schwieriger würde es sein, das Bündel mit den Segeln über die Mauer zu werfen. Er konnte sich nicht vorstellen, dass er jetzt noch die Kraft dazu haben würde. Als er zwei Wachen auf der Mauer ihre Runde drehen sah, presste er sich schnell gegen die Wand, und die beiden liefen vorüber, ohne ihn zu bemerken. Sie lachten laut und redeten über Frauen, der eine von seiner Ehefrau, der andere von einer Hure.
Als sie sich entfernt hatten, trat Mercurio aus seinem Versteck hervor. Er hatte keine Zeit, nachzudenken oder noch länger zu warten. Er musste es einfach probieren. Doch bevor er die beiden Groß-Oberbramsegel aufs Geratewohl über die Mauer ins Meer warf, wollte er nachsehen, ob das Boot auch gekommen war. Also sprang er vom Fenstersims auf die Mauer und landete einigermaßen sanft auf dem Umlaufgang. Er spähte zwischen zwei Zinnen hindurch und entdeckte erleichtert unten auf dem Rio della Tana Battistas Boot, das ihn dort erwartete. Allerdings sah er auch, dass er einen kühnen Sprung wagen musste.
»He!«, zischte er.
Battista und die beiden Brüder hoben sofort den Kopf. Tonio bedeutete ihm zu springen. Battista sah ziemlich verängstigt aus.
Mercurio nahm Anlauf für den Sprung zurück, um die Segel zu holen.
»Wer ist da?«, rief eine Wache und zeigte sich an einem Wachturm am Ende der Umfassungsmauer, als Mercurio gerade losgesprungen war.
Mercurio landete wieder in dem oberen Raum, und ihm war klar, dass ihm keine Zeit mehr blieb, erst die Segel über die Mauer zu werfen und danach hinterherzuspringen. Entweder ließ er seine Beute liegen, oder er lief Gefahr, alles zu verlieren, auch sein Leben. Ihm klopfte das Herz bis zum Hals. Wenn man ihn hier entdeckte, würde er in der Lagune ertränkt. Er dachte an seinen Albtraum zurück, sah das aufgedunsene Gesicht des Säufers aus den römischen Abwasserkanälen vor sich, den Schmetterling, den er Giuditta geschenkt hatte, Anna, wie sie bei seinem Begräbnis weinen würde, obwohl es nicht einmal eine Leiche zu bestatten gäbe. Und er fühlte, wie die Furcht ihn packte.
Dir kann nichts geschehen, versuchte er sich zu beruhigen. Er dachte an Giuditta, die das Ziel all seiner Anstrengungen war. Und der Grund, warum ihm nichts geschehen konnte.
Er nahm ein Groß-Oberbramsegel und wich von dem großen Fenster zurück, das auf die Mauer des Arsenals ging.
»Wer ist da?«, hörte er wieder die Stimme der Wache, diesmal
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