Das Mädchen, das den Himmel berührte: Roman (German Edition)
immer zwei Stufen auf einmal nehmend, nach oben und riss die Tür auf. »Aber wenn ich erfahren sollte, dass du dich wieder mit diesem Betrüger triffst …«, brüllte er in die Wohnung hinein, ohne den Satz zu vollenden. Er schwenkte drohend die Faust, dann schlug er heftig die Tür zu.
»Er heißt Mercurio!«, hörte er Giuditta durch die geschlossene Tür brüllen.
»Ja, verdammt, er heißt Mercurio, ich weiß!«, knurrte Isacco, während er davoneilte.
Vor der Haustür erwartete ihn schon Donnola, der sich gerade angeregt mit einem der Wachleute unterhielt. Isacco lief grußlos an ihm vorbei.
Donnola folgte ihm hastig. »Heute sind wir aber gut gelaunt«, stellte er fest, nachdem er ihn eingeholt hatte.
»Ach, verflucht noch mal, Donnola!«, knurrte Isacco und beschleunigte seinen Schritt. »Warum wurde ich bloß mit einer Tochter geschlagen?«
Donnola lachte.
»Ach, scher du dich doch auch zum Henker«, schimpfte Isacco.
Donnola lachte bloß noch lauter.
Die Luft roch sauer nach dem billigen, essigsauren Wein, der in den Läden rund um die Calle della Malvasia verkauft wurde. Isacco fühlte Übelkeit in sich aufsteigen und lief hastig weiter.
Vor der Abtei Santa Maria della Misericordia kam noch ein mindestens genauso aufdringlicher Geruch hinzu. Hier warteten Leute, die sich verletzt hatten oder an einer inneren Krankheit litten, auf den Stufen des Hospitals darauf, Aufnahme bei den Mönchen zu finden. Es stank nach eitrigem Fleisch und Tod.
Isacco sann über den Verlauf der Krankheit nach, die über die Prostituierten hereingebrochen war. Eine wahre Geißel. Mit jedem Tag stieg die Zahl der Erkrankten. Allein er versorgte mittlerweile um die vierzig Frauen, und niemand wusste, wie viele wirklich erkrankt waren. Schließlich wollten sich viele nicht behandeln lassen aus Angst, ihre Freier zu verlieren. Und so verbreitete sich die Ansteckung immer weiter. Diejenigen, die zu ihm kamen, hatte er im fünften Stock des Torre delle Ghiandaie untergebracht, wo gesunde Prostituierte ihnen die Zimmer überließen, für die weiterhin ein Silbersoldo an Scarabello zu entrichten war. Doch inzwischen verbreitete sich die Kunde, und es gab auch schon Beschwerden von Huren, die der Meinung waren, dieses improvisierte Hospital würde ihnen die Freier vertreiben. Am meisten Sorge bereitete Isacco jedoch, wie die Leute über die Krankheit dachten und was ihnen Priester und Ärzte wider besseres Wissen darüber erzählten. Da weder die Kirche noch die Wissenschaft etwas gegen die französische Krankheit auszurichten vermochte, neigten beide Seiten immer mehr dazu, die Übertragung durch Geschlechtsverkehr zu verleugnen und sie vielmehr für einen Ausdruck des göttlichen Zorns zu erklären. Gott, so sagten sie, war erzürnt über die lasterhaften Sitten in Venedig und quälte deswegen das Fleisch. Aber keiner von ihnen kam auf die Idee, dass die Lasterhaftigkeit selbst für die Übertragung der Krankheit verantwortlich war. Und dass es daher kein Zufall war, dass sie überwiegend unter den Prostituierten wütete, die ständig mit Männern verkehrten und ihnen in jeder Beziehung zu Diensten sein mussten. Isacco war entmutigt durch die Haltung seiner Kollegen, die so gern ihre Hände in Unschuld wuschen. Einige weigerten sich sogar, die Kranken zu behandeln, um nicht »gegen den göttlichen Willen zu verstoßen«. Andere schoben unsinnige Sternenkonstellationen vor, um nicht ihr eigenes Unwissen und Unvermögen zugeben zu müssen. Wieder andere erhoben nur betrübt die Arme gen Himmel und sagten: »Der Mensch hat fleischliche Lust mit Affen gepflegt, dadurch ist diese Tierkrankheit über ihn hereingebrochen«, als ob das irgendetwas bedeuten würde.
In dieser trostlosen Atmosphäre von Unwissenheit und Borniertheit gab es nur zwei Menschen, die seine Einschätzung teilten und versuchten, die Krankheit mit empirischen Methoden zu bekämpfen: den Prior der Scuola Grande di Santa Maria della Misericordia und dessen Frau vom Laienorden der Geißler, die gemeinsam das Hospital betrieben. Als Isacco nun bei der Kirche Santa Maria della Misericordia anlangte, sah er den Zappafanghi, wie der Abgesandte der Bruderschaft genannt wurde, und winkte ihm. Der erkannte ihn gleich, kam auf ihn zu und sagte ihm, dass der Prior und seine Frau gerade wieder drei Männer aufgenommen hatten, die klare Anzeichen der Franzosenkrankheit aufwiesen.
»Kann ich sie sehen?«, fragte Isacco sofort.
»Bedaure«, erwiderte der Zappafanghi. »Der
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