Das Mädchen, das den Himmel berührte: Roman (German Edition)
ihn fester an sich und sagte dann: »Ich liebe Euch wie einen Vater, Doktor.«
»Aber, aber …«, sagte Isacco verlegen.
Donnola brach in schallendes Gelächter aus.
Isacco ging zu Repubblica, setzte sich zu ihr aufs Bett und sah, dass ihre Wangen schon wieder an Farbe gewonnen hatten. Die Krankheit hatte ihren einst so üppigen Busen von innen heraus ausgezehrt, aber sie war noch am Leben. Er schob die Decke beiseite und überprüfte jede behandelte Wunde mit geradezu besessener Aufmerksamkeit. Du bist kein echter Arzt, dachte er dabei, vergiss das nie.
»Marianna ist stolz auf dich, Doktor«, sagte da Repubblica, als hätte sie seine Gedanken gelesen. »Ich habe heute Nacht von ihr geträumt.«
Isacco lauschte ihrer sinnlichen Stimme, die wie Balsam in sein Herz drang. Am liebsten hätte er ihr zärtlich über das Gesicht gestreichelt und sich ihr wie ein Mann genähert. Doch dann schämte er sich seiner Gedanken und erhob sich schnell. »Ja«, sagte er ernst, »die Wunden sehen wirklich besser aus.«
Repubblicas Augen wurden feucht. Sie presste die Lippen fest zusammen, um nicht in Tränen auszubrechen.
Isacco schaute zu Boden. In der nun folgenden Stille spürte er auf einmal, wie sich eine kleine Hand in seine schob. Lidias Hand.
Das Mädchen drückte ihm etwas Kleines, Kaltes in die Hand und zog ihre zurück.
Isacco sah hinunter auf seine Hand, in der nun die kleine Münze lag, die das Mädchen ihm als Bezahlung angeboten hatte, als er das Zimmer zum ersten Mal betreten hatte. Er drehte sich zu ihr um.
Lidia sah ihn an und schüttelte dann wortlos, aber entschieden den Kopf. Sie würde es nicht noch einmal hinnehmen, dass er sie ablehnte.
Isacco schloss die Hand um die kleine Münze der Armen.
Ja, die hast du dir verdient, du verfluchter Betrüger, sagte er zu sich.
54
A us dem Weg, Magd! Siehst du nicht, dass ich vorbeiwill?«, schimpfte der Fettwanst mit unangenehm schriller Stimme. »Willst du mir etwa mit deinem Schmutzwasser meine edlen Damastschuhe verderben?«
Anna del Mercato unterdrückte die patzige Antwort, die ihr auf der Zunge lag. Sie senkte den Kopf, nahm die Scheuerbürste und den Eimer und presste sich fügsam an die Wand, obwohl dazu keine Notwendigkeit bestand, da der Mann trotz seiner Leibesfülle allen Platz der Welt hatte.
Verdammte Geldsäcke, dachte sie wütend.
»Du dumme Kuh, du blamierst mich ja vor meinem Gast!«, empörte sich der Herr des Hauses mit Namen Girolamo Zulian de’ Gritti, jener verarmte Adlige, für den Anna nun arbeitete. Mit zum Himmel erhobenen Händen stürzte er atemlos keuchend die Treppe hinab, dem reichen Besucher entgegen, den man ihm soeben gemeldet hatte. Als er an Anna vorbeilief, zischte er ihr wütend zu: »Du stumpfsinnige Magd, ich sollte dich gleich wieder auf die Straße setzen!« Dann war er auch schon bei seinem Gast und warf sich ihm beinahe zu Füßen. »Verzeiht, Messere, diese Dienstboten …« Er beendete seinen Satz nicht.
»Dienstboten sind von Natur aus dumm«, sagte der Fettwanst und schaute naserümpfend auf Anna. Er hatte ein seltsam geformtes Gesicht, schmal auf Höhe der Wangenknochen und am Kinn, dafür mit umso dickeren Backen, auf denen ein spärlicher rötlicher Bart spross.
Anna fand ihn nicht nur unsympathisch, sondern regelrecht abstoßend. Der dicke Mann hatte eine höckrige, gerötete Nase, wahrscheinlich aufgrund von Gicht oder einer anderen Krankheit. Seine pockennarbige Haut war so zerklüftet, dass Anna dabei an Baumrinde denken musste. Der Mann hatte die Augen zu schmalen Schlitzen zusammengezogen, als blendete ihn die Helligkeit, und seine tief herabhängenden Mundwinkel verzerrten das Gesicht zu einem Ausdruck ständigen Ekels.
»Es heißt ja, Neger seien niedere Wesen«, nahm der Fettwanst das Gespräch wieder auf, wobei er Anna nicht aus den Augen ließ. »Aber ich glaube, das gilt auch für alle Dienstboten. Ihre Unwissenheit und Grobheit machen sie zu Geschöpfen, die nur wenig über den Tieren stehen«, krächzte er mit abgrundtiefer Verachtung. Dabei wandte er sich dem Eingang des Palazzos zu und wies auf zwei hochgewachsene Diener dunkler Hautfarbe mit Turbanen, die vor einer Sänfte standen. »Genau wie diese beiden Riesenaffen. Oder würdet Ihr behaupten wollen, dass das Menschen sind?«
Girolamo Zulian de’ Gritti lachte zustimmend, während er die Sänfte betrachtete, in der sein Gast angekommen war. Sie hatte fein gedrechselte, vergoldete Säulen und kostbare Seidenvorhänge, und auch
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