Das Mädchen, das den Himmel berührte: Roman (German Edition)
fanatischen Anhänger. »Er verbrennt unsere heiligen Schriften«, stammelte er entsetzt.
Die Mitglieder der jüdischen Gemeinde drehten sich erschrocken um. Auf der Fondamenta degli Ormesini stiegen Flammen zum Himmel. Auch die christlichen Weber kamen aus ihren Häusern und den kleinen Werkstätten, in denen sie kostbare Stoffe fertigten, und schüttelten fassungslos die Köpfe.
»Die Juden sind das Krebsgeschwür Gottes!«, schrie der Heilige und warf ein dickes Buch auf den Scheiterhaufen.
»Das Krebsgeschwür Gottes!«, wiederholte Zolfo, das Äffchen. Er drehte sich zu der Menge Schaulustiger um und forderte sie auf, mit ihm zu schreien.
»Das Krebsgeschwür Gottes!«, schrien einige, aber es mischte sich auch höhnisches Gelächter unter den allgemeinen Lärm.
»Befreie dich von dieser Plage, Venedig!«, rief der Heilige, die Hände mit den Wundmalen immer noch zum Himmel erhoben. »Befreie dich von ihren schändlichen Büchern!«
»Befreie dich von den Juden!«
Die Flammen der brennenden Bücher loderten hoch empor. Und je höher sie stiegen, desto mehr erregte sich die Menge.
»Satansvolk!«, dröhnte der Heilige und drehte sich mit erhobenen Armen im Kreis. Er nahm eine Schriftrolle aus Pergament, hielt sie hoch über die Menge der Schaulustigen und warf sie dann ins Feuer.
»Die Thora!«, flüsterten die auf dem Platz versammelten Juden mit blankem Entsetzen in den Augen. Eine alte Frau fing an, leise und schicksalsergeben zu weinen, als würde sie so etwas nicht zum ersten Mal erleben.
Als die Flammen krachend aufloderten, johlte die Menge der Eiferer triumphierend auf.
»Brenne, Zion!«, rief der Heilige.
Ein Dutzend aufgebrachter Menschen machte Anstalten, mit Knüppeln in der Hand die Brücke zu überschreiten und über die Leute auf dem Platz des Ghetto Nuovo herzufallen.
Erschrocken wichen die Juden zurück, obwohl ihre Angreifer noch ziemlich weit entfernt waren. Die Kinder klammerten sich ängstlich an die Röcke ihrer Mütter.
Gedankenversunken flüsterte Giuditta: »Mercurio …«
In dem Moment kam Hauptmann Lanzafame aus dem Wachhaus bei der Brücke herausgerannt. Er war unsicher auf den Beinen und wirkte betrunken. Ihm folgten mit gezückten Schwertern Serravalle und fünf weitere seiner Männer. Mit ausladenden Schritten eilte Lanzafame zum Scheiterhaufen und trat die brennenden Bücher in den Kanal. Zischend erloschen die heiligen Schriften, und über der Wasseroberfläche erhoben sich eine dunkle Rauchsäule und beißender Gestank.
»Verschwindet!«, schrie Hauptmann Lanzafame.
»Es ist unser gutes Recht zu bleiben«, erwiderte der Heilige.
»Du schon wieder, verfluchter Mönch«, knurrte Lanzafame finster und richtete drohend den Zeigefinger gegen ihn.
»Du schon wieder, verfluchter Soldat im Solde Satans«, entgegnete der Heilige und wandte sich wieder seiner kleinen Anhängerschar zu, um sie weiter aufzuhetzen und sich ihrer Unterstützung zu versichern.
Doch Lanzafame ließ sich so leicht nicht einschüchtern. Wütend packte er den Mönch bei der Kapuze seiner Kutte, schleifte ihn wie einen angeleinten Hund ein paar Schritte hinter sich her und schleuderte ihn schließlich zu Boden. »Verfluchter Satansprediger!«, beschimpfte er ihn.
Die aufgebrachte Menge grollte dumpf, während sich der Heilige mit verdreckter Kutte aus dem Staub erhob.
»Serravalle!«, dröhnte Lanzafame. »Treib diese Dummköpfe mit Arschtritten weg!«
Serravalle und die Soldaten stürzten sich auf die Eiferer, ließen ihre Schwerter zischend durch die Luft sausen und schlugen einige nieder.
Da zogen auch die Eifrigsten, die sich eben noch wie Wölfe aufgeführt hatten, die Köpfe ein und wichen wie eine Herde Schafe zurück. Kaum hatten sie sich in sichere Entfernung gebracht, verschwanden sie hastig in alle Himmelsrichtungen.
Nur Zolfo blieb vor Lanzafame stehen und sah ihn herausfordernd an. Schweigend spuckte er dem Hauptmann vor die Füße.
Ohne zu zögern und mühelos hob Lanzafame ihn hoch und warf ihn in den Kanal. »Das hätte ich schon bei unserer ersten Begegnung tun sollen, du lästiges Ungeziefer.«
Als Zolfo prustend aus den schmutzigen Fluten auftauchte, fingen die noch verbliebenen Beobachter der Szene an zu lachen.
Der Heilige hatte von allen unbemerkt inzwischen den Rückzug angetreten.
»Bruder Amadeo!«, rief Zolfo, sobald er das Ufer erreicht hatte, und rannte ihm hinterher, wobei er eine kräftige Wasserspur hinterließ. »Bruder Amadeo!«
»Ja, lauf deinem Herrn
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