Das Mädchen, das den Himmel berührte: Roman (German Edition)
Augen wanderten unruhig umher.
»Was ist geschehen?«, fragte Isacco seufzend. »Warum kannst du nicht im Bett liegen bleiben?«
»Goldmündchen ist heute Nacht gestorben«, sagte der Kardinal.
Mit Goldmündchen waren es jetzt schon siebenundzwanzig Tote. In jedem Raum im fünften Stock lagen nun dicht an dicht acht bis zehn erkrankte Huren. Die Seuche breitete sich erschreckend schnell aus. Isacco hatte unter allen Prostituierten im Castelletto und auch unter denen, die in der Ca’ Rampana arbeiteten, die Nachricht verbreiten lassen, sie sollten bei ihren Kunden auf Wunden achten, besonders am Glied. Aber es war nicht so einfach, fast elftausend Huren zu warnen und anzuweisen, was sie tun sollten. Und viele von ihnen waren so arm, dass sie es sich trotz aller Gefahr nicht leisten konnten, einen Freier zurückzuweisen. Und so verbreitete sich die Krankheit immer weiter.
»Das tut mir leid«, sagte Isacco.
Doch die Atmosphäre von Zusammenhalt und gegenseitigem Trost und Zuspruch, die im Torre delle Ghiandaie entstanden war, war beeindruckend. Viele nicht erkrankte Prostituierte halfen den anderen in ihrer freien Zeit, schrubbten den Boden, versorgten sie mit Essen und Getränken. Aber vor allem trugen sie mit Geschwätz und Heiterkeit dazu bei, dass die Kranken nicht den Mut verloren.
Zumindest so lange, bis eine starb.
»Goldmündchen war eine großartige Hure«, sagte der Kardinal, »und ich will ihr Begräbnis auf keinen Fall verpassen.«
Die Leiche wurde in ein weißes Leintuch gehüllt und von den Beamten der Serenissima abgeholt. Laut Dekret mussten die erkrankten Toten verbrannt werden. Jedes Mal nahm Isacco gerührt an dem Zug der Prostituierten teil, die der Leiche bis zu dem Ort folgten, an dem sie verbrannt werden sollte, und damit gegen das Gesetz verstießen, das ihnen an allen Tagen außer samstags verbot, sich frei und ungehindert auf den Straßen Venedigs zu zeigen. Und obwohl die venezianische Obrigkeit anfänglich versucht hatte, ihr Verbot durchzusetzen, hatten die Huren nicht klein beigegeben. Die Behörden hatten schließlich verstanden, dass ihr Eingreifen gar nicht weiter erforderlich war. Denn nachdem sie den Toten die letzte Ehre erwiesen hatten, kehrten die Prostituierten ohnehin gleich ins Castelletto zurück, ohne unterwegs Gast- oder Wirtshäuser aufzusuchen oder auf andere Art Kunden anzulocken.
Isacco ging in die letzten beiden Zimmer, wo die Prostituierten untergebracht waren, die sich auf dem Weg der Besserung befanden. Als er eintrat, klatschten sie laut. Isacco verneigte sich mit gezwungener Fröhlichkeit. Er wollte ihnen die Hoffnung nicht nehmen, dass sie ihre Genesung seiner Behandlung verdankten. Doch im Grunde seines Herzens wusste er nicht, worin die Ursache dafür tatsächlich lag. Er hatte einzig feststellen können, dass es sich innerhalb eines Zeitraums von etwa drei Wochen entschied, ob die Krankheit zum Tod führen oder sich langsam zurückziehen würde. Jedes Mal wenn man ihn beglückwünschte, weil er jemanden geheilt hatte, hatte er ein schlechtes Gewissen, wenn er den Dank annahm. Er, der so lange Zeit von Betrügereien gelebt hatte, schämte sich zum ersten Mal für einen Betrug, auch wenn er in bester Absicht geschah.
Er begegnete Donnolas Blick und lächelte ihm zu. Sein Gehilfe nickte zufrieden. Ihm verdankte Isacco es, dass er jetzt Arzt in Venedig war. Er ging auf ihn zu. »Du bist blass«, sagte er besorgt. »Leg dich ein Weilchen hin.«
»Nein … Wer Zeit hat, soll keine verlieren, hat meine Großmutter immer gesagt«, erwiderte Donnola.
»Wie willst du denn mit deiner Großmutter gesprochen haben, wenn du nicht einmal weißt, wer deine Mutter war?«, neckte ihn eine der Huren.
Alle anderen lachten. Und Donnola stimmte mit ein. Er sammelte die schmutzigen Verbände auf und packte sie in einen Beutel. »Ich geh sie verbrennen«, sagte er laut, damit alle ihn hörten.
Isacco nickte ernst. Und während er zusah, wie Donnola mit dem Sack auf dem Rücken hinausging, dachte er, dass dies sein zweiter großer Betrug war. Donnola würde die Verbände nicht verbrennen. Sie hatten nicht genug Geld, um neue zu kaufen. Die Verbände wurden zu einer Frau gebracht, die mit Lauge die Flecken entfernte und sie dann in einem großen Kessel mit Blättern vom Buchsbaum und Quecksilber auskochte.
»Repubblica«, sagte Isacco feierlich, »du bist am längsten dabei und die Erste, die geheilt wurde. Schau nach, ob im weißen Zimmer alles in Ordnung ist.« So hieß
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