Das Mädchen, das den Himmel berührte: Roman (German Edition)
Hauptmann Lanzafame auf dem Heimweg. »Starrköpfigkeit lässt einen Entscheidungen fällen, ehe man auf sein Herz gehört hat. Und das ist niemals gut.« Und dann fügte er hinzu: »Ich würde Scarabellos Drohung keinesfalls nachgeben. Aber ich bin auch nur ein dummer Soldat. Und Giuditta ist nicht meine Tochter. Hast du dir das wirklich gut überlegt?«
»Scarabello geht es nicht um meine Tochter«, sagte Isacco.
»Wie kannst du das wissen?«
»Ich habe es im Herzen dieses Jungen gelesen. Hast du gesehen, wie viel Angst er hatte? Er hätte alles getan, um uns zu überzeugen. Wenn er gekonnt hätte, hätte er uns mit seinen eigenen Händen aus dem Castelletto getragen.«
»Ja und?«
»Scarabello benutzt ihn. Vielleicht weiß er, dass der Junge in sie verliebt ist. Er lässt ihn in dem Glauben, dass er ihr etwas antun wird, um nach seinem Willen über ihn bestimmen zu können. Und diese Botschaft war nicht für uns, sondern für den Jungen gedacht«, erklärte Isacco. »So habe ich es früher selbst viele Male …«
»Du verlässt dich auf ein Gefühl?«
»Das gehört zum Handwerk eines Betrügers. Obwohl Ihr ja immer noch stur daran festhaltet, dass ich ein Arzt bin.«
»Du bist ja auch ein Arzt«, sagte Lanzafame.
»Seht Ihr?«, lächelte Isacco. »Was habe ich Euch gesagt?«
Lanzafame legte ihm eine Hand auf die Schulter. »Bist du sicher?«
Isacco starrte ihn schweigend an. Dann senkte er den Kopf und ging schneller.
»Bist du sicher?«, fragte Lanzafame noch einmal und folgte ihm.
Wieder blieb Isacco ihm die Antwort schuldig und eilte mit verkniffenem Gesicht weiter voran. Dann blieb er plötzlich bei einer niedrigen Hütte stehen.
Ein wenig hinter ihnen drückte sich eine Gestalt in den Schatten eines Hauses.
Isacco schaute Lanzafame bebend vor Zorn ins Gesicht. »Wir Juden leben Tag und Nacht in Angst. Angst, aus Venedig vertrieben zu werden. Angst, eingesperrt zu werden. Angst, verbrannt zu werden oder ausgeraubt. Angst, dass man uns zwingt, unserem Glauben abzuschwören. Angst davor, demnächst auch um Genehmigung bitten zu müssen, wenn wir … wenn wir scheißen wollen!« Er zeigte mit dem Finger auf den Torre delle Ghiandaie, den man jenseits der niedrigen Häuser von San Matteo sehen konnte. »Und so wahr es einen Gott gibt, werde ich nicht zulassen, dass dieser Verbrecher mir nun auch noch Angst einjagt.« Er warf Lanzafame einen letzten Blick zu, dann wandte er sich ab und eilte mit wütenden Schritten auf das Ghetto zu.
Die Gestalt, die im Schatten Deckung gesucht hatte, trat aus ihrem Versteck hervor.
»Verdammter halsstarriger Sturkopf«, fluchte Mercurio.
Am Himmel türmten sich unter finsterem Grollen bedrohlich dicke schwarze Wolken.
»Na gut. Dann werde eben ich mich um deine Tochter kümmern.«
66
I ch gebe dir die Hälfte von dem, was ich verdiene«, sagte Mercurio. »Aber tu der Tochter des Doktors nichts an.«
Scarabello starrte ihn schweigend mit hochgezogener Augenbraue an.
»Bitte«, sagte Mercurio.
Scarabello lächelte. »Ich habe dir ja gesagt, dein Schwachpunkt ist, dass du sentimental bist.«
»Bitte«, wiederholte Mercurio. »Sie hat doch nichts damit zu tun.«
Scarabello zuckte mit den Achseln. »Sie hat doch nichts damit zu tun«, äffte er ihn nach. »Und was schert mich das?«
»Bitte«, sagte Mercurio noch einmal, diesmal beinahe mit Tränen in den Augen. Je mehr er Scarabello anflehte, desto stärker wurde seine Angst um Giuditta.
»Wärst du bereit, mir wegen dieses Mädchens alles zu geben, was du verdienst?«, fragte Scarabello.
»Alles, was du willst«, erwiderte Mercurio, ohne zu zögern.
»Alles, was ich will«, wiederholte Scarabello befriedigt.
»Aber wenn du ihr etwas antust«, mit einem Mal klang Mercurios Stimme hart und entschlossen, »dann bringe ich dich um, das schwöre ich dir.«
Scarabello trat ganz nah an ihn heran und sah ihm durchdringend in die Augen.
Mercurio wich nicht zurück und hielt dem Blick stand.
»Ich glaube dir«, sagte da Scarabello.
»Dann lässt du sie also in Ruhe?« Mercurios Stimme wurde brüchig.
Scarabello hielt ihn noch einige Momente hin. »Ja. Ich werde sie in Ruhe lassen.«
Mercurio bekam vor Erleichterung ganz weiche Knie.
»Du musst dich noch bei mir bedanken«, lächelte Scarabello.
»Danke …«, flüsterte Mercurio.
»Folge mir«, sagte Scarabello. »Und bedank dich auch dafür, dass ich dir weder die Hälfte noch deinen ganzen Verdienst abknöpfen werde.«
»Danke«, sagte Mercurio und
Weitere Kostenlose Bücher