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Das Mädchen, das den Himmel berührte: Roman (German Edition)

Das Mädchen, das den Himmel berührte: Roman (German Edition)

Titel: Das Mädchen, das den Himmel berührte: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Luca Di Fulvio
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ihren Blick über den Körper der Gefangenen wandern. Giuditta hatte sich auf dem Boden zusammengekauert. Sie trug ein zerknittertes, dünnes Kleidchen, das völlig verschmutzt war. Als sie verängstigt vor dem Licht zurückwich, entblößte sie ein aufgeschürftes Knie. Benedetta sah, dass ihre Knöchel von zwei dicken, verrosteten Eisenringen gehalten wurden und ein weiterer, an einer kurzen Kette befestigter Ring um ihre Hüften ihr kaum Bewegungsfreiheit ließ, sodass sie gezwungen war, auf dem Boden zu sitzen. Selbst ihre Handgelenke waren gefesselt und wiesen tiefe Kratzer auf. Ihr Gesicht war schmutzig und ihr Blick gehetzt wie der eines in einen Käfig gesperrten Tiers.
    Sie musste jetzt mindestens schon drei Tage in der dunklen Zelle verbracht haben. Die Luft hier war eiskalt und feucht. Und dennoch hatte Giuditta nichts von ihrer Schönheit verloren, dachte Benedetta voll Zorn. Sie hasste sie aus tiefstem Herzen, noch stärker als zuvor, weil nicht einmal das Gefängnis dieses Mädchen zu brechen vermocht hatte. Sie war ihr immer noch eine ebenbürtige Nebenbuhlerin.
    »Ciao, Hexe«, sagte sie spöttisch mit zusammengebissenen Zähnen.
    Giuditta hielt ihrem Blick stand. Ihre Augen waren gerötet und die Wangen eingefallen, sie hatte aufgesprungene Lippen, und ihre schmutzigen Haare klebten am Kopf.
    »Du machst mir … keine Angst mehr«, sagte sie mit heiserer Stimme.
    Benedetta hielt die Lampe noch näher an ihr Gesicht. »Ich muss dir auch keine Angst mehr einjagen«, erwiderte sie und schwenkte die Lampe kreisförmig hinter ihr, als wollte sie ihr die Zelle zeigen. »Nein, ich brauche dir wirklich keine Angst mehr einzujagen, das tun schon andere«, sagte sie und lachte gezwungen. Sie streckte eine Hand aus, als wollte sie Giuditta über die Wange streicheln.
    Diese wandte schnell das Gesicht ab.
    »Es ist schön, dich so zu sehen«, flüsterte Benedetta ihr zu.
    »Was willst du?«, fragte Giuditta.
    »Was sollte ich noch mehr wollen als das hier?«, sagte Benedetta lächelnd. Sie schwieg eine ganze Weile, während sie dem Mädchen die Lampe vor die Augen hielt. »Doch, ich will dich sterben sehen!«, fuhr sie wütend auf.
    Giuditta spürte, wie sich trotz aller Anstrengung die Angst mit wütenden Krallen in ihren Magen bohrte. »Warum?«, fragte sie leise.
    Benedetta sah sie wortlos an. Dann beugte sie sich vor und spuckte ihr ins Gesicht. Sie stand auf und ging zur Tür, wo sie noch einmal stehen blieb. »Ich bin auf dem Weg zu Mercurio«, sagte sie und versuchte, so beiläufig zu klingen, als spräche sie mit einer Freundin. »Ich werde ihn trösten.« Dann ging sie noch einmal zurück. »Er lässt sich nämlich gern von mir trösten.« Sie blieb aufrecht vor Giuditta stehen. »Du verstehst sicher, dass ich ihn nicht von dir grüßen kann.« Dann beugte sie sich noch einmal hinunter, beleuchtete Giudittas Gesicht und sah, dass sie weinte. Mit einem Seufzer, als hätte sie gerade die größte Freude erfahren, verließ sie entschlossenen Schrittes den Raum.
    Kaum hatte sie die Kerker verlassen, brannte die Sonne wieder mit Macht auf sie herab. Sie hatte die Hitze beinahe ebenso vergessen wie das Licht, das sich auf dem Wasser der Lagune brach und es in eine Ansammlung von sich ständig verändernden kleinen Spiegelflächen verwandelte. Sie füllte ihre Lungen mit der warmen Luft und ging dann wie frisch gestärkt zur Anlegestelle des Dogenpalastes.
    Dort winkte sie einem Gondoliere und bestieg sein Boot.
    Während sie auf dem Canal Grande davonfuhr, drehte sich Benedetta noch einmal um und sah zu den Bogengängen hinüber. Sie fragte sich immer noch, ob ihr Gefühl, verfolgt zu werden begründet war. Doch sie konnte auch jetzt niemanden entdecken. Deshalb wandte sie den Blick wieder auf das Wasser und betrachtete die vielen anderen Boote und Gondeln, die in alle Richtungen ausschwärmten.
    Zu ihrer Linken hörte sie Trommelwirbel. Sie wandte sich zur Punta da Mar um, zu dem schmalen Landstreifen, der den Canal Grande vom Canale della Giudecca trennte, und sah, wie dort einige zerlumpte Menschen einem Herold folgten.
    »Am Sonntag, dem Tag des Herrn, wird auf höchsten Befehl unseres Patriarchen Antonio Contarini auf der Piazzetta von San Marco nahe der Anlegestelle am Dogenpalast vor der Obrigkeit unserer Erlauchtesten Republik Venedig die Heilige Römische Inquisition öffentlich eine Zusammenfassung der Anklagepunkte gegen Giuditta di Negroponte, Jüdin und Hexe, verlesen …«
    »Nur noch zwei

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