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Das Mädchen, das den Himmel berührte: Roman (German Edition)

Das Mädchen, das den Himmel berührte: Roman (German Edition)

Titel: Das Mädchen, das den Himmel berührte: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Luca Di Fulvio
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wandte er sich wieder dem Hauptmann zu. »Mein Name ist Isacco di Negroponte, Doktor, Expertus für Körpersäfte und Wundarzt«, sagte er stolz.
    »Bist du ein Schneider?«, fuhr ihn Hauptmann Lanzafame an.
    »Schneider?«, fragte Isacco verblüfft.
    »Schneidest und nähst du? Bist du ein Chirurgus?«, herrschte ihn der Hauptmann noch einmal an.
    Nach dem Überfall der Türken war Isaccos Vater gezwungen gewesen, selbst die niedersten medizinischen Tätigkeiten zu verrichten, auch die blutigen, die man sonst Barbieren und Feldscheren überließ. Und er hatte Isacco überallhin mitgenommen. Den Sohn, der sich nicht vor Blut fürchtete, weil er kein Gewissen hatte.
    »Ja, ich bin auch ein Schneider«, sagte Isacco und hatte den Eindruck, dass der Hauptmann ihm daraufhin mehr Respekt entgegenbrachte, im Unterschied zu jedem Arzt oder Adligen.
    »Hast du deine Instrumente dabei, Doktor?«, fragte ihn der Hauptmann und behandelte ihn damit sofort wie jemanden, der seinen Befehlen zu gehorchen hatte.
    »Nein …«, antwortete Isacco zögerlich.
    »Dann wirst du die von Candia benutzen, unserem Feldscher, der vor zwei Tagen am Fieber gestorben ist«, sagte der Hauptmann. Dann fügte er noch hinzu: »Ich hoffe, dass es dir kein Unglück bringt.«
    Isacco deutete mit dem Kopf auf seine Tochter.
    »Ihr wird nichts geschehen«, versicherte der Hauptmann.
    »Unter all diesen Soldaten?«, fragte Isacco besorgt.
    »Das sind meine Soldaten. Ich bin ihr Befehlshaber«, sagte der Hauptmann.
    Isacco musterte ihn. Niemand weiß besser in den Herzen der Menschen zu lesen als ein Betrüger. Anders konnte man in einem Beruf, in dem keine Regeln gelten, nicht überleben. Und im harten, stolzen Gesicht des Hauptmanns Lanzafame spiegelte sich eine ehrliche Seele.
    »Ich glaube Euch«, sagte Isacco schließlich.
    »Sie steht unter meinem Schutz«, erwiderte der Hauptmann. »Und jetzt zeig, was du kannst. Auf den Karren sind Männer, die ihre Familien wiedersehen möchten.« Er legte sich die Hände an den Mund. »Donnola!«, schrie er.
    Kurz darauf erschien ein kleinwüchsiger Mann mit winzigem Kopf und klitzekleinen Äuglein, der eine gewisse Ähnlichkeit mit einem Wiesel hatte – und nichts anderes bedeutete der Name Donnola. Die Haut rund um seine Augen runzelte sich wie Dörrobst, während sie über den Wangen glatt war und fettig glänzte. Abgesehen von ein wenig rötlichem, knabenhaftem Flaum über der Oberlippe und an der Kinnspitze war sein Gesicht unbehaart.
    »Das ist Doktor Negroponte. Gib ihm Candias Instrumente«, ordnete der Hauptmann an. »Und sorg dafür, dass er vor den Männern darauf spuckt, um den Fluch des Fiebers zu bannen, das den Mann umgebracht hat. Wenn er sich weigert, peitsch ihn aus oder gib ihm einen Tritt in den Hintern, das überlasse ich dir. Aber sobald er es getan hat, stehst du unter seinem Befehl. Und zwar ohne Diskussion.« Lanzafame wandte sich an Isacco. »Wir werden hier unser Lager aufschlagen. Ich will, dass du sofort beginnst. Folge Donnola.«
    Isacco ging zu seiner Tochter. »Danke«, flüsterte er ihr zu.
    »Vater …«, hob Giuditta an.
    Aber Isacco nahm sie einfach fest in die Arme, woraufhin sie verstummte. Dann flüsterte er ihr ins Ohr: »Achte darauf, dass du deinen Rock nicht hochraffst, und zeig nie mehr deine Beine, wenn du von einem Schiff oder auf einen Karren klettern musst.«
    »Ich hoffe, du weißt, wie man eine Säge benutzt«, sagte der Hauptmann.
    Isacco folgte Donnola zum ersten Karren, aus dem es heftig nach faulendem Fleisch roch. Die Säge, hatte der Hauptmann gesagt. Wundbrand, vermutete Isacco.
    »Ich habe Hunger!«, schrie in dem Moment der Hauptmann.
    Während er auf den Karren stieg, hörte Isacco, wie Lanzafame zu einem einfachen Soldaten sagte: »Und das Mädchen wird auch Hunger haben. Kein Schweinefleisch. Los, beweg dich, mach Feuer!«
    Während Isacco in die Masse menschlicher Körper eintauchte, die sich auf dem Karren unter einem an mehreren Stellen eingerissenen Tuch stapelten, sagte er sich, dass bestimmt alles gut ausgehen würde, wenn er seine Rolle bis zu Ende spielte. Er setzte sich neben den ersten Soldaten – einen jungen Kerl von bestimmt noch nicht einmal zwanzig Jahren mit schreckgeweiteten Augen –, tastete dessen von den Hufen eines schweren Schlachtrosses zertrampeltes Bein ab und betrachtete die Knochensplitter, die sich bereits gelblich verfärbten, und die ausgefransten Wundränder. Er wusste, was er zu tun hatte. Sein Vater war ein guter

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