Das Mädchen, das den Himmel berührte: Roman (German Edition)
Pater Venceslao da Ugovizza an, der der Aussage offenbar nicht einmal Gehör schenkte, so vollkommen gleichgültig schien ihm der Ausgang des Prozesses und somit auch Giudittas Schicksal zu sein. »Du verdammter Scheißkerl, Ha-shem soll dich mit seinem Blitz treffen!«
»Also gut«, fuhr Benedetta fort, »der Schmerz war so heftig, dass ich zu Boden sank, schrie und mich wand … als wäre ich von einer Horde Teufel besessen …«
Zahlreiche Frauen im Publikum legten sich erschrocken eine Hand vor den Mund. Andere klammerten sich ängstlich an ihren Männern fest. Und die Mütter legten ihren Kindern die Hände über die Ohren.
»Schließlich riss ich mir wie eine Besessene das Kleid herunter … und war …«, Benedetta verstummte und blickte schamhaft zu Boden, »… vollkommen nackt …«
Es herrschte absolute Stille.
Und in dieses Schweigen hinein sagte Benedetta: »Und ich spuckte Blut.«
Mercurio sah zu Giuditta hinüber. Ihre Augen waren von Tränen verschleiert. Sie schüttelte ungläubig den Kopf, als wollte sie so dieser schrecklichen Lüge widersprechen. Mercurio wusste genau, was sie jetzt dachte: Dass sowohl Hass als auch Liebe dafür verantwortlich waren, dass sie sterben würde. Sie würde bei lebendigem Leib verbrannt werden, weil Benedetta sie wegen der Liebe, die Giuditta und ihn verband, hasste. Der Heilige schüttelte scheinbar entsetzt den Kopf. »Was Ihr uns hier erzählt, gottesfürchtiges Mädchen, ist zweifellos schrecklich und grauenhaft, aber was für eine Bedeutung sollte es für unseren Prozess haben? Glaubt Ihr etwa, Eure Krankheit und dieses seltsame Ereignis hätten etwas mit dem Kleid zu tun, das Ihr trugt? Gibt es dafür Beweise?«
»Das ist alles Lüge!«, schrie Giuditta plötzlich, und ihre Stimme brach vor Verzweiflung.
»Schweigt«, ermahnte sie der Patriarch sogleich. »Ihr habt einen Verteidiger, der für Euch sprechen wird!«
Und du bist dir sicher, dass dieser Verteidiger den Mund halten wird, nicht wahr?, dachte Mercurio. Ihr könnt alles tun, auch diese Lüge weiterspinnen, weil euch niemand widersprechen wird! Er sah sich um und erkannte, dass die Leute wie üblich nicht an Gerechtigkeit interessiert waren, solange es ihnen nicht selbst an den Kragen ging.
»Nun?«, fuhr der Heilige fort. »Fandet Ihr Beweise?«
»Wie denn, Inquisitor?«, erwiderte Benedetta unschuldig. »An so etwas habe ich doch nicht gedacht. Man kam mir zu Hilfe, und als ich mir das Kleid vom Leibe gerissen hatte, ging es mir sofort besser. Doch ich brachte diese beiden Ereignisse nicht in Verbindung. Nicht einmal, als mir eine Frau erzählte, sie habe in den Nähten des zerrissenen Kleides eine blutige Rabenfeder gefunden. Trotz der geheimnisvollen Blasen auf meinem Rücken, die nur eine schreckliche Hitze wie Feuer hätte bewirken können.«
»Ihr wart also vollkommen arglos …«, wiederholte der Heilige. Dann sah er in die Menge. »Satan ist gerissen darin, unsere Köpfe zu verwirren, uns in seinen Nebel zu hüllen …«
»Und das war ich immer noch, als ich Tage später wieder ein Kleid … dieser Hexe anzog«, sagte Benedetta wütend und sah Giuditta an. »Nicht einmal, als es mir plötzlich schlecht ging und immer schlechter, bis ich schließlich das Bett hüten musste …« Benedetta lächelte. »Ich war ja so dumm. Nicht einmal im Bett wollte ich mich von den Kleidern dieser Hexe trennen.«
Ein entsetzter Aufschrei ging durch die Menge. Benedettas Aussage bewegte sie wesentlich mehr als die der vorangegangenen Zeugen, die von schlüpfenden Ungeheuern mit gelben Augen und gespensterhaften Stimmen aus der Hölle erzählt hatten.
»Ich wurde immer schwächer … als würde mir jemand das Blut aussaugen … oder das Leben …«, sagte Benedetta leise.
»Oder die Seele!«, rief der Heilige aus.
Daraufhin empörte sich die Menge. Wütend schrien die Leute auf und verlangten laut, die Hexe zu verbrennen. Und hätten Lanzafame und seine Männer sich nicht mit gezückten Schwertern um den Käfig geschart, hätte die Menge Giuditta augenblicklich in Stücke gerissen.
»Ruhe! Ruhe!«, schrie der Patriarch und erhob sich, nicht ohne dem Heiligen einen zufriedenen Blick zuzuwerfen, den der mit einer kaum merklichen Neigung des Kopfes erwiderte.
Mercurio bebte vor Wut, als er dies bemerkte. Diese Posse konnte nur stattfinden, weil alle sich einig waren. Weil alle genau wussten, dass sich ihnen niemand in den Weg stellen würde. Er sah Giustiniani an. Doch auch der sagte kein Wort. Er
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