Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Mädchen, das den Himmel berührte: Roman (German Edition)

Das Mädchen, das den Himmel berührte: Roman (German Edition)

Titel: Das Mädchen, das den Himmel berührte: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Luca Di Fulvio
Vom Netzwerk:
Versuch, zwischen sich und Anna ein wenig Abstand zu schaffen.
    Anna del Mercato nickte kaum merklich und sah ihn ohne den leisesten Vorwurf an. »Ich habe dich genug gelangweilt, mein Junge«, sagte sie. Dann strich sie ihm noch einmal durchs Haar und ging.
    »Was wollte die denn von dir?«, fragte Benedetta, als Mercurio sich auf den Strohsack neben ihrem legte.
    »Nichts«, entgegnete Mercurio, doch er war sich bewusst, dass es ihm keineswegs gelungen war, Distanz zu Anna del Mercato zu wahren. Er meinte immer noch, ihre Hand in seinem Haar zu spüren.
    »Die beiden da haben die ganze Zeit geredet«, sagte Benedetta und zeigte auf Zolfo und den Mönch.
    »Ich bin müde«, fertigte Mercurio sie ab und wandte ihr den Rücken zu. Er schloss die Augen.
    Meine Mutter war Gemüsehändlerin und verkaufte ihre Ernte auf dem Markt. Sie legte mich immer auf ihren Handkarren neben die Rüben und die Zwiebeln. Sie hat mir eine Jacke aus Barchent genäht und sie mit Kaninchenhaar gefüttert, damit ich es immer schön warm habe bei Kälte …

16
    S himon Baruch war schmutzig und müde. Nicht einmal er wusste, wie viele Tage er sich in dieser Tuffsteingrotte am Rand der Heiligen Stadt verborgen hatte. Und die ganze Zeit über hatte er kaum geschlafen. Er hatte auch fast nichts gegessen, und ihm war kalt. In dem Talar des Pfarrers, den er nun trug, hatte sich der helle Tuffsteinstaub festgesetzt und war zu einer schmierigen Schicht verkrustet.
    Er hatte gelebt wie ein gehetztes Tier und sich in die von Menschenhand in die Flanke des Hügels gegrabenen Höhlen verkrochen. Auf jedes Geräusch, jedes Rascheln hatte er gelauscht. Doch die Angst hatte niemals die Oberhand gewonnen. Ganz im Gegenteil, je mehr Shimon litt und Gefahr witterte, desto stärker wuchsen Wut und Hass in ihm. Und er hatte festgestellt, dass nichts auf der Welt einen Mann so sehr nähren und stärken konnte wie diese beiden Gefühle.
    Jeder Wert aus der Vergangenheit, jedes Ziel, jeder Tag seines früheren Lebens hatte für ihn seinen Sinn verloren. Das waren Gespenster, Trugbilder, sinnlose Gebote. Der, der dieses frühere Leben gelebt hatte, das war nicht er gewesen, sondern eine Marionette, die von Allgemeinplätzen, von den strengen Regeln der jüdischen Gemeinde gelenkt und in ihre Schranken verwiesen wurde.
    Das war nicht er gewesen. Doch jetzt hatte er sich selbst gefunden, und er würde sich nie wieder verlieren.
    Er trug sein neues Leben, sein neues Schicksal in der Tasche. Ab und zu, wenn sein Wille schwankend wurde, ging seine Hand zu jenem Stück Pergament, das erklärte, er sei Alessandro Rubirosa, Christ, getauft im Namen des Herrn 1471 in der Kirche San Serapione Anacoreta.
    Als er bereit war, zog er sich die Kapuze über den Kopf, machte sich auf den Weg in die Stadt, zur Piazza Sant’Angelo in Pescheria, wo alles begonnen hatte.
    Dort angekommen, schaute Shimon sich um. Der Platz sah genauso aus wie an dem Tag, als man ihn bestohlen hatte. Hass und Wut stiegen in ihm auf. Er sah wieder jede Einzelheit vor sich. Zuerst das Mädchen mit dem roten Haar, das ihn körperlich erregt hatte, dann den Jungen mit der gelblichen Haut, der ihm etwas nachrief, und gleich darauf den schwachsinnigen Riesen, der auf ihn zukam und so tat, als wollte er ihn um ein Almosen bitten. Erst jetzt gelang es Shimon, all das tatsächlich zu sehen, was er an jenem Tag hätte sehen müssen. Die verstohlenen Blicke, das Zusammenspiel. Das alles war ein ausgeklügelter Plan gewesen. Und der Kopf des Ganzen war bestimmt jener Kerl, den Shimon vor allen anderen hasste. Dieser junge Bursche mit dem gelben Judenhut, der ihm in seiner Sprache den Friedensgruß entboten und dann so getan hatte, als würde er sich mit dem Schwachsinnigen streiten und ihn verteidigen. Einen Augenblick lang war Shimon versucht gewesen, sich für den jungen Juden einzusetzen. Was für ein Dummkopf er doch gewesen war! Doch vor allem erinnerte er sich, wie die Furcht ihm die Kehle zusammengepresst hatte. Du Dummkopf, schalt er sich abermals. Genau auf diese Angst stützte sich ja der Plan dieser Gauner. Auf die Furcht des feigen Juden.
    Du wirst nie mehr Angst haben, sagte er sich. Und du wirst nie mehr ein Jude sein.
    Shimon erinnerte sich genau, in welche Richtung die drei jungen Leute geflohen waren, als sie einander vorgeblich verfolgten. Er wählte denselben Weg. Dann bog er nach rechts ab, doch dort fand er sich gleich in einem undurchdringlichen Gewirr aus Gassen wieder, die sich im Herzen

Weitere Kostenlose Bücher