Das Mädchen, die goldene Uhr und der ganze Rest
die er nicht verstand.
Als sie Luft holte, warf er zaghaft ein: »No comprendo, Señorita.«
Sie setzte sofort ihren Redeschwall in fließendem Spanisch fort. Er sprach gut Spanisch, aber nicht so gut. Sie sprach einen sehr bildhaften Slang, bei dem sich ein mexikanischer Taxifahrer wahrscheinlich die Ohren zugehalten und das Heil in der Flucht gesucht hätte.
»Mas despacio, por favor«, bat er, als sie das nächste Mal Luft holte.
Sie sah ihn mit schmalen Augen an. »Paßt Ihnen Englisch?«
»Wofür?«
»Wo ist meine verdammte Tante? Was, zum Teufel, gibt ihr das Recht zu diesen raffinierten Tricks! Nach Jahren bekomme ich das erste ordentliche Fernsehdrehbuch zu Gesicht, und sie schafft es, daß sie mich feuern! Ich bin nicht ihre Sklavin, und sie kann mich nicht einfach herzitieren. Wo ist dieser sonderbare Joseph, Freundchen? Wagen Sie ja nicht, einen der beiden zu decken! Ich bin mit ihren jämmerlichen kleinen Unterläufern noch immer fertiggeworden. Ich will Fakten hören, und zwar gleich!«
Ihre Nasenflügel bebten, ihre kleine Nase berührte fast die seine, und sie starrte ihm direkt in die Augen. »Nun, wird's bald!«
»Fakten?«
»Fakten, Mensch!«
Sie sprach mit kaum merklichem Akzent, aber irgend etwas kam ihm daran entfernt bekannt vor.
»Ich glaube, Sie sind im falschen Zimmer.«
»Ich weiß, daß ich im falschen Zimmer bin. Die anderen Räume der Suite sind leer. Darum bin ich hier. Lenken Sie nicht ab!«
»Eine Suite?«
Sie stampfte mit dem Fuß auf. »Eine Suite! Jawohl! Jetzt wachen Sie endlich auf! Kommen Sie zu sich! Das ist eine luxuriöse Suite im achten Stockwerk des Hotel Elise in Miami Beach. Es ist zehn Uhr abends, und heute ist ein wahnsinnig lustiger Sonnabend im April. Diese Suite wurde von Charla Maria Markopoulos O'Rourke, meiner unfrommen Tante, gemietet, und es hat mich zwanzig Dollar Bestechung gekostet hereinzukommen, nachdem ich von der Pazifikküste hergeflogen bin.«
»Charla!« brachte er heraus. Er wußte plötzlich, wo er sich befand und warum ihm der Akzent des Mädchens bekannt vorgekommen war, auch wenn er nicht ganz so ausgeprägt war wie Charlas. Bis zu diesem Augenblick hatte er geglaubt, daß er in Montevideo war. »Onkel Omar ist tot«, sagte er.
»Sparen Sie sich die blödsinnigen Codewörter, Freundchen. Ich gehöre schon seit urlanger Zeit nicht mehr zu Charlas Wolfsrudel. Die kleine Filiatra hat ihren Namen, ihre Weltanschauung und ihre Lebensweise geändert, weil sie die schlauen, dreckigen Tricks bis obenhin satt hatte. Ich heiße jetzt Betsy Alden, bin eine ordentliche Bürgerin und eine gute Schauspielerin. Charla würde gut daran tun, mir schnell wieder meine Rolle zu verschaffen, sonst verprügle ich sie, daß ihr Hören und Sehen vergeht.«
»Wenn Sie einen Schritt zurücktreten, könnte ich besser denken.«
Sie trat an das Fußende des Bettes und sah ihn zornig an. »Wo ist sie?«
»Sie glauben offenbar, daß ich für sie arbeite.«
»Spielen Sie nicht den Schlaumeier, Freundchen.«
»Bitte glauben Sie mir. Ich heiße Kirby Winter und habe einen schrecklichen Tag hinter mir. Ich war betrunken und habe Charla gestern abend kennengelernt. Ich kannte nicht einmal ihren vollen Namen. Ich weiß nicht, wer Sie sind. Ich weiß nicht, wo Charla steckt. Ich habe nicht die leiseste Ahnung, wovon Sie sprechen.«
Das Mädchen starrte ihn an und biß sich auf die Lippe. Mißtrauen und Zorn verflogen langsam. Kalte, höhnische Verachtung lag in ihrem Blick.
»Tut mir schrecklich leid, Mr. Winter. Ich habe einfach nicht gedacht. Ich hätte mir gleich denken können, daß Sie nicht dazugehören. Sie sehen nicht klug genug aus. Sie sehen eher aus wie jemand, der gern seinen Spaß hat. Muskulös, sauber und ernsthaft. Aber daß Sie nicht einmal ihren richtigen Namen kennen! Da staune ich wirklich. Charla übereilt anscheinend die Dinge und kämpft verzweifelt. Ist sie für Sie nicht ein wenig zu alt?«
Die Verachtung schmerzte ihn mehr als ihr unerklärlicher Zorn.
»Ich habe aber nur ...«
»Sehen Sie auf dem Schreibtisch nach, bevor Sie gehen, Mr. Winter. Sie gibt großzügige Trinkgelder, habe ich gehört.«
Das Mädchen wirbelte herum und verließ das Zimmer; die Tür knallte hinter ihr ins Schloß. Das Echo des Knalls hallte dröhnend durch seine verkaterten Gehirnwindungen, und ihm wurde übel. Kalter Schweiß brach ihm aus den Poren. Er legte sich wieder hin, schloß die Augen und kämpfte gegen die aufkommende Übelkeit. Das verdammte
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