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Das Mädchen, die goldene Uhr und der ganze Rest

Das Mädchen, die goldene Uhr und der ganze Rest

Titel: Das Mädchen, die goldene Uhr und der ganze Rest Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John D. MacDonald
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kann. Vielleicht kriegen sie die offizielle Auslaufgenehmigung und ankern irgendwo; wir fahren dann in einem kleinen Boot hinaus.«
    »Ach.«
    »Der Boss war richtig glücklich bei Ihrem Anblick, Winter. Sie sind der Jackpot bei der ganzen Sache. Der Boss ist der Meinung, daß von jetzt an alles bestens funktionieren wird. Eine Zeitlang hat es ziemlich chaotisch ausgesehen. Zu viel Publicity. Wenn es ums Geschäft geht, haßt der Boss Publicity. Wenn es stimmt, daß Sie siebenundzwanzig Millionen beiseite geschafft haben, dann war es sicher die ganze Mühe wert.«
    »Wohin wollen sie Miss Beaumont bringen?«
    »Weiß ich nicht. Ich weiß nicht, ob sich noch immer so viele Leute für das Schiff interessieren. Sie müßten sie woanders hinschaffen. Wenn der Boss zusätzliche Männer angeheuert hat, dann hat er vielleicht auch ein anderes Versteck ausfindig gemacht. Was ist mit den siebenundzwanzig Millionen, Winter?«
    »Was soll damit sein?«
    »Auf die hat es der Boss abgesehen, stimmt's?«
    »Ich habe keine Ahnung.«
    »Wenn einer soviel gestohlen hat, dann rupft ihn klarerweise der erste, der ihn erwischt. Soviel Geld bringt einem nur etwas, solang niemand davon weiß.«
    »Ich weiß Ihre Expertenmeinung durchaus zu schätzen.«
    René stand langsam auf, ging zu Kirby, beugte sich über ihn, griff mit dem schwieligen Daumen und einem Finger nach Kirbys Nase und drehte sie kräftig. Es war erniedrigend und außerordentlich schmerzhaft. Kirby rannen die Tränen über die Wangen.
    »Sprechen Sie gefälligst ordentlich mit mir«, ermahnte ihn René. »Wir haben viel Zeit; es liegt an Ihnen, ob sie angenehm oder unangenehm vergeht.«
    René setzte sich wieder auf seinen Platz und bearbeitete mit einem Taschenmesser seine harten Nägel. Nach ein paar Minuten fragte Kirby: »Entschuldigen Sie, aber hat Joseph gesagt, wann sie uns von hier abholen?«
    »Wer?«
    »Mr. Locordolos.«
    »Den habe ich nicht gesehen. Es war nur der Boss hier. Mrs. O'Rourke.«
    »Ach so.«
    René schüttelte traurig den Kopf. »Diese Wilma war recht pampig mit dem Boss. Das war nicht sehr gescheit. Der Boss hat ihr eine Spritze verpaßt. Eine kleine Ampulle, wie aus einem Erste-Hilfe-Koffer. Dreißig Sekunden, und sie hat geschnarcht wie ein Pferd.«
    Raoul kam von der Küche herein. Sein linkes Auge war zugeschwollen. Er hielt eine Dose in seiner großen braunen Faust und löffelte etwas heraus.
    »Was hast du jetzt gefunden?« fragte René angewidert.
    »Bohnen.«
    »Schon wieder Bohnen?«
    »Gut.«
    Raoul setzte sich und aß die Bohnen auf. Er stellte die Dose beiseite, wischte sich mit dem Unterarm über den Mund und starrte dabei Kirby gleichgültig an. Dann drehte er sich zu René um und redete in einer Sprache auf ihn ein, die Kirby nach einiger Zeit als das in Nordafrika verbreitete Französisch identifizierte, das mit spanischen, italienischen und arabischen Worten gespickt ist. Er konnte dem Gespräch nur in groben Zügen folgen, aber er verstand soviel, daß Raoul wissen wollte, ob René was dagegen habe, wenn er sich im Schlafzimmer die Langeweile mit der schlafenden dürren Biene vertriebe. Er zwinkerte dabei krampfhaft, daß sich sein halbes Gesicht verzog.
    Zu Kirbys Entsetzen war René darüber keineswegs aufgebracht. Er wirkte gelangweilt und stellte Raoul eine beiläufige Frage, die Kirby nicht verstand. Raoul antwortete, daß es ohnehin niemand erfahren würde. Was konnte es schaden? Es wäre zumindest ein Zeitvertreib.
    Als René die Achseln zuckte und zustimmend nickte, zog sich Kirbys Herz krampfartig zusammen. Die große Uhr - sein goldener Talisman - hatte die Wirklichkeit substanzlos gemacht; die Welt war zu einer Bühne für billige Komödie und raffinierte Effekte geworden, auf der die Tugend stets über das Böse triumphierte. Die Uhr hatte sein Weltbild verschoben; Phantasien konnten zur Wirklichkeit werden. Aber hier würde es keinen noch so unbedeutenden Triumph des Guten über das Böse geben. Für Wilma Farnham konnten hier alle Spiele zu Ende sein, und er war machtlos und konnte die beiden nicht aufhalten. Kirby Winter mußte zusehen, wie die Welt in das alte, qualvolle Schema aus Blut und Schmerz und kleinen, einsamen Katastrophen zurückfiel.
    Soviel Kirby verstand, sagte René danach etwas darüber, daß sie warten sollten; wenn sie die ganze Nacht hierbleiben mußten, würden sie sich mit oder ohne Befehle die Biene teilen. Sie sollten aber warten, bis sie aufwachte und sie ihr Gehorsam beigebracht hatten.

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