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Das Mädchen in den Wellen

Das Mädchen in den Wellen

Titel: Das Mädchen in den Wellen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heather Barbieri
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Großmutter? Glaubst du, sie ist schon Staub? Komisch, dass keiner was über sie weiß.«
    »Vielleicht ist sie einfach weggegangen. Das passiert manchmal.«
    Wie ihr Vater. Sein Name hing unausgesprochen zwischen ihnen. Annie deckte zu Hause den Tisch für ihn mit, weil sie hoffte, dass er auftauchen würde. Ella lauschte auf das Zuschlagen seiner Autotür und war enttäuscht, wenn sie feststellte, dass nur ihr Nachbar, Mr. Livingston, von der Arbeit nach Hause kam. Bei der letzten Schulaufführung – sie war die Alice in Alice im Wunderland gewesen – hatte sie von der Bühne aus nach ihrem Vater Ausschau gehalten, doch sein Platz, Reihe D, Nummer 3, war leer geblieben. Ihre Mutter hingegen hatte in jeder Vorstellung auf Nummer 2 gesessen, ganz angespannt vom permanenten ermutigenden Lächeln.
    »Lass uns reinschauen«, schlug Annie vor.
    »Wir wissen nicht, wo er ist. Wir müssen vorsichtig sein.«
    Auf der Seite der Hütte befanden sich keine Fenster, nur vorne. Die Rückseite schloss an die Felsen an, als würde der Schuppen aus ihnen herauswachsen. Die Mädchen schlichen sich, die Knie grün vom Gras, näher heran und duckten sich hinter ein Gewirr aus Netzen und Schwimmern, das Plastik abgenutzt und voller Risse. Die Stufen vor der Hütte waren vom Sand befreit. Offenbar hatte der Mann vor, eine Weile zu bleiben.
    Vom Strand bellten Seehunde herauf. Ella legte einen Finger an die Lippen. »Schau. Da ist er.«
    Der Mann schwamm in Begleitung der Seehunde in der kleinen Bucht. Er war ein ausgezeichneter Schwimmer, ganz in seinem Element, ohne die geringste Angst vor den Tieren.
    »Hat er was an?«, fragte Annie.
    »Das kann ich nicht erkennen«, antwortete Ella. »Und ich weiß auch nicht, ob mich das interessiert.«
    Annie stellte sich auf die Zehenspitzen, um besser sehen zu können.
    »Runter!«, ermahnte Ella sie.
    Er wandte sich ihnen zu, sein Blick schien den ihren zu suchen.
    »Er kommt raus«, flüsterte Annie. »Meinst du, er ist wütend auf uns, weil wir ihm nachspioniert haben?«
    »Lauf!«, sagte Ella, die das gar nicht herausfinden wollte.
    Sie kletterten zum Glass Beach zurück. Ihr Strand. Sie würden behaupten, sie seien die ganze Zeit über dort gewesen.
    »Folgt er uns?«, keuchte Annie.
    Als Ella über die Schulter zurückschaute, wäre sie fast über einen Stein gestolpert. »Ich kann ihn nicht sehen. Ich glaube, wir haben’s geschafft.«
    »Das heißt nicht, dass er nicht da ist. Vielleicht versteckt er sich wie wir.«
    »Er ist erwachsen. Er braucht sich nicht zu verstecken.« Ella musste an ihren Vater denken, der sich in letzter Zeit ziemlich oft zu verstecken schien – vor den Reportern, sogar vor ihnen. Da waren so viele Fragen, die er nicht beantwortete. Warum bist du nie da? Wohin willst du? Stimmt das, was sie sagen? Warum kannst du es mir nicht erklären? Warum kannst du nicht bleiben? Liebst du sie mehr als uns? Seine tränennassen Augen, bevor er sich abrupt abwandte und mit dem Wagen in die Nacht verschwand.
    »Wir kriegen doch jetzt keinen Ärger, oder?«
    »Nein«, antwortete Ella, obwohl sie das auch nicht sicher wusste. »Wir haben ja nichts angestellt. Es steht nirgends ein ›Betreten verboten‹-Schild. Die Hütte gehört Tante Maire. Sie hat uns nicht verboten hinzugehen.«
    »Bloß weil jemand das nicht ausdrücklich sagt, heißt das noch lange nicht, dass …«
    »Hör auf, dir Gedanken zu machen. Lass uns lieber nach dem Boot sehen, ja?«, meinte Ella.
    Annies Miene hellte sich auf. Sie liebte das Ruderboot. Annie kletterte hinein, bereit, in See zu stechen. »Heute fahren wir ums Kap der Guten Hoffnung.«
    »Such dir lieber einen anderen Kurs aus. Wir wollen doch keinen Piraten begegnen.«
    »Ich bin eine Piratin.«
    »Gestern noch nicht.«
    »Jetzt aber schon. Schau, da drüben. Kanonen!«
    »Es ist nicht das Gleiche wie auf dem Wasser«, nörgelte Ella. »Wenn wir Ruder hätten und hinauskönnten, wär’s besser.«
    »Wir könnten Mama bitten, uns bei Scanlon’s Ruder zu kaufen. Oder vielleicht hat Tante Maire welche.«
    »Wenn wir’s ihnen sagen, ist’s kein Geheimnis mehr, oder? Sie würden uns nicht aufs Wasser lassen. Nicht Mama. Sie würde mitkommen wollen.«
    Sie hörten Schritte. »Versteck dich!«, flüsterte Ella.
    Sie legten sich flach auf den Boden und hielten den Atem an.
    Zu spät.
    »Bitte um Erlaubnis, an Bord zu kommen«, sagte der Schiffbrüchige, der eine weite Hose und ein T-Shirt, wahrscheinlich aus der Hütte, trug. Der Stoff klebte an

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