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Das Mädchen in den Wellen

Das Mädchen in den Wellen

Titel: Das Mädchen in den Wellen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heather Barbieri
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nach all den Jahren.
    Sie seufzte. In letzter Zeit beschäftigte sie sich viel zu viel mit der Vergangenheit. Das Kurzzeitgedächtnis ließ sie gelegentlich im Stich, aber an ihre Kindheit erinnerte sie sich erstaunlich gut. Vielleicht war das so im Alter, einer Zeit des Grübelns und Bedauerns.
    Nora und die Mädchen kamen die Stufen herauf. Sie trugen Kappen, Jeans und T-Shirts, Annie mit einer Micky Maus darauf, Ella eines mit dem Aufdruck von einem Taylor-Swift-Konzert, Nora von The B-52s.
    Maire verteilte Baumwollhemden von Joe. »Damit ihr euch die Arme nicht an den Büschen zerkratzt.«
    »Wie lang wird’s dauern?«, fragte Ella ohne große Begeisterung.
    »Das hängt davon ab, wie schnell du pflückst«, antwortete Maire.
    »Ich kann gut pflücken«, prahlte Annie.
    »Besonders die Popel aus deiner Nase«, spottete Ella.
    »Das ist gemein!«
    »Hört auf«, ermahnte Nora sie.
    »Ach, wir nehmen’s hier nicht so genau«, versicherte Maire und setzte eine Kappe von Joe auf.
    Sie beschlossen, zu Fuß zu gehen, weil die Felder nicht weit entfernt waren.
    Auf der Straße begegneten sie keinem einzigen Auto. Es war nie viel los, egal, zu welcher Tageszeit. Das nächste Haus befand sich einen knappen Kilometer in der anderen Richtung.
    »Es ist so ruhig hier«, bemerkte Ella. »Wird dir das nicht zu einsam?«
    Genau das hatte Maeve auch gefragt. »Wir sitzen auf dieser kleinen Insel fest, und da draußen gibt’s so viel Interessantes.«
    »Dann geh doch«, hatte Maire gesagt, ohne es zu meinen.
    »Das kann ich nicht.«
    »Warum nicht?«
    Maeve hatte es ihr nicht verraten.
    »Mir macht das nichts aus. Ich bin es gewohnt«, antwortete Maire jetzt.
    »Bist du je in der Stadt gewesen? In Boston?«
    »Ein Mal. Aber das ist lange her.« Sie und Joe waren übers Wochenende hingefahren und hatten sich Faneuil Hall angesehen. So viel Verkehr, so viele Lichter, so viel Lärm. Sie hatte es nicht besonders schön gefunden, weil ihr zu viele Gedanken durch den Kopf gegangen waren.
    »Hier ist es auch nicht ganz ruhig«, stellte Annie fest. »Es gibt alle möglichen Geräusche: von Bienen, Vögeln, Bäumen, vom Meer, vom Gras, von anderen Tieren …«
    »Und dein Geplapper. Bla, bla, bla«, fügte Ella hinzu.
    Nora schüttelte den Kopf. »Lass sie in Ruhe.«
    »Hier lang.« Maire betrat einen schattigen Waldpfad.
    Annie ließ die Hände über den weichen, moosbedeckten Boden gleiten, stieß einen Entzückensschrei aus, beugte sich hinunter und rieb die Wange daran.
    »Vorsicht, da könnten Ameisen drin sein«, warnte Ella sie.
    »Das ist mir egal. Es ist weich wie Samt.«
    »Moos halt.«
    »Nicht irgendein Moos. Inselmoos.«
    »Na und? Macht das einen Unterschied?«
    »Ja. Ich sage dir doch die ganze Zeit, dass die Dinge hier anders sind, aber du hörst ja nicht zu.«
    »Na schön, sie sind anders.«
    Sie waren tatsächlich anders, allerdings nicht so, wie Ella meinte. Selbst jetzt noch überraschte die Insel Maire manchmal. Genau wie das Leben.
    Der Pfad wand sich zwischen Kiefern hindurch. Ein Eichhörnchen kletterte einen Baumstamm hinauf und keckerte von oben herunter, ein anderes antwortete. Eine Warnung oder ein Revierstreit. Annie blieb fasziniert stehen, um die beiden zu beobachten, bevor sie wieder hinter ihrer Schwester hertrottete und ihr auf die Fersen trat.
    »Pass auf, wo du hintrittst, ja?«
    »Tut mir leid, war keine Absicht.«
    Worte, die Maire früher zu Maeve gesagt hatte, wenn sie ihren Lippenstift kaputt oder ihr Lieblings-T-Shirt schmutzig gemacht oder sich an ihren Rockzipfel gehängt hatte. »Mae-Mae«, hatte sie als kleines Mädchen gejammert, wenn sie hinter dem Hoftor sitzen musste. »Ist das deine kleine Schwester?«, hatten Maeves Freundinnen gefragt. »Nein«, hatte Maeve geantwortet.
    Sie erreichten das Feld mit den Heidelbeersträuchern, das sich seit Maires Kindheit kaum verändert hatte. »Da wären wir.« Manche der Beeren waren noch grün oder rosafarben.
    Sie schwärmten aus. Nora und Maire pflückten im selben Abschnitt, während Ella davonstapfte, Annie im Schlepptau. »Such dir deinen eigenen Strauch«, knurrte Ella.
    Annie streckte ihr die Zunge heraus und machte sich ganz in der Nähe an die Arbeit.
    Ella sah, wie sie die Hand nach einer rosafarbenen Beere ausstreckte. »Nur die blauen. Die da schmeckt noch nicht.«
    Annie aß sie trotzdem und verzog das Gesicht.
    »Ich hab’s dir doch gesagt.«
    »Mir schmecken sie so.«
    »Sieht man deutlich.«
    Schon bald hallte das Feld wider vom

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