Das Maedchen mit dem Flammenherz
jedoch nicht sah. »Ja. Ich bin sicher. Hier habe ich es deponiert.«
»Vor ziemlich langer Zeit.«
»Es ist noch hier«, widersprach er energisch. »Ich muss nur drankommen. Der Lack hat die Platte verklebt wie Leim.«
»Beeil dich.« Sie blickte über den Fächer hinweg. »Wenn wir zu lange hier herumstehen, wird noch jemand auf uns aufmerksam.«
Jasper biss die Zähne zusammen. »Ja, ich weiß. Würdest du jetzt bitte aufhören zu reden wie meine Mutter und Schmiere stehen?«
Sie antwortete nicht, und er fasste ihr Schweigen als Zustimmung auf und machte sich wieder an die Arbeit. Er musste die Platte ziemlich hart anpacken, um die verklebten Nähte aufzusprengen, doch wenn er zu fest zerrte, würde der Lärm unerwünschte Aufmerksamkeit auf sie ziehen.
Endlich gab das Holz nach. Eine Ecke löste sich, er hebelte auf der anderen Seite und verbreiterte den Spalt, bis er die Finger hineinschieben konnte. Dann setzte er den Unterarm als Keil ein und drückte die Platte weit genug zur Seite, damit er die Hand in den Hohlraum schieben konnte. Jetzt musste er nur noch beten, dass nicht etwa eine Ratte das Teil verschleppt hatte – oder, noch schlimmer, dass dort drin eine Ratte lauerte, die ihn in die Finger beißen würde. Schon der Gedanke ließ ihn schaudern.
Vorsichtig tastete er nach dem Beutel, in dem er das Teil verstaut hatte. Die Kante der Holzplatte schnitt ins Handgelenk. Zähneknirschend, weil das Holz ihm die Haut abschürfte, drang er weiter vor, bis seine Finger endlich den verstaubten Stoff fanden. Er lächelte, strengte sich noch einmal an, ohne auf die Schmerzen zu achten, ergriff den Beutel und zog ihn zur Öffnung.
»Ich glaube, ich hab’s«, informierte er Finley.
»Gut«, antwortete sie. »Gerade kommt ein Mann zu uns herüber, der für meinen Geschmack ein wenig zu neugierig wirkt.«
Jasper zog den Arm und seine Beute hervor. Die Platte federte zurück, nur ein winziger Spalt blieb offen. Wenn sich nicht gerade jemand bückte wie er, würde es nicht weiter auffallen. Er schüttelte den Staub vom Beutel ab und richtete sich auf.
»Hier.« Er hatte das Teil aus dem Beutel gezogen und gab ihr das verstaubte Papier, in das es zusätzlich eingewickelt gewesen war. »Steck das in deine Handtasche, schnell.«
Er musste es nicht zweimal sagen. Finley schnappte das Papier und verstaute es.
Jasper stopfte sich unterdessen das Teil in die Jackentasche, dann kamen sie aus der Ecke hervor. Der Mann, den Finley bemerkt hatte, war ihnen inzwischen schon sehr nahe. Jasper wusste nicht, ob er bei dessen Anblick einen Freudenruf ausstoßen oder fluchen sollte.
»Erinnerst du dich, dass wir gerade eben diskutiert haben, wer von uns weglaufen sollte, wenn es Schwierigkeiten gibt?«, murmelte er.
Sie sah ihn panisch an. »Ja.«
»Der Kerl, der da auf uns zukommt, ist Whip Kirby.«
Finley riss die Augen auf und versetzte ihm einen Stoß. »Lauf.«
Jasper ließ es sich nicht zweimal sagen.
Der kräftige Gesetzeshüter wollte sich an Finley vorbeischieben, um Jasper zu verfolgen, doch sie hielt ihn am Arm fest. Überrascht betrachtete er ihre Hand. Offensichtlich war er nicht daran gewöhnt, dass sich ihm ein Mädchen in den Weg stellte.
Er funkelte sie an und versuchte vergeblich, seinen Arm zu befreien.
»Verdammt auch, Mädchen«, knurrte er sie an. »Ich will ihm doch nur helfen.«
»Das habe ich auch schon gehört.« Sie trat näher an ihn heran, um nicht die Aufmerksamkeit der anderen Theaterbesucher zu erregen. Griffin hatte ihr in seiner Antwort, nachdem sie ihm das richtige Theater genannt hatte, erklärt, Whip Kirby sei möglicherweise für Jasper eher ein Freund als ein Feind. Anscheinend war der Gesetzeshüter vor allem daran interessiert, Dalton zu schnappen. »Aber ich kenne Sie nicht, und deshalb müssen Sie mir schon verzeihen, wenn ich nicht zulasse, dass Sie ihn einfach hochnehmen.«
Kirby starrte sie frustriert an. »Sie sind ein freches kleines Ding.«
»Ein freches kleines Ding, das Ihnen den Arm brechen könnte wie eine Pfefferminzstange, Mister Kirby. Würden Sie mir bitte einen Moment zuhören, damit ich nicht zur Gewalt greifen muss? Man sagt mir nämlich nach, ich sei ausgerechnet darin sehr gut.«
Er betrachtete sie, als wäre sie ein wildes Tier, was Finley nicht sonderlich störte. Sie war daran gewöhnt, auf diese Weise beäugt zu werden. »Was wollen Sie?«
»Sie wissen, dass ich eine Freundin des Duke of Greythorne bin, oder?«
Er nickte, seine Miene war hart.
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